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Kommentar Genfer Ukraine-ErklärungLob der Diplomatie

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Genfer Erklärung zur Lösung der Krise in der Ukraine ist ein Erfolg. Denn Maximalforderungen sind nicht durchsetzbar, sondern gefährlich.

Entspannung ist möglich – doch es braucht einen langen Atem. Bild: dpa

D ie Genfer Erklärung, die von den USA, EU, Russland und Ukraine unterzeichnet wurde, ist nicht die Lösung dieses vertrackten Konfliktes. Aber sie ist ein Anfang. Ein wenig bemerkter Erfolg von Genf lautet: Moskau hat stillschweigend akzeptiert, dass es in Kiew eine neue Regierung gibt. Bisher hatte das Putin-Regime trotzig behauptet, dass Janukowitsch noch immer der legitime ukrainische Präsident sei. Jetzt aber reden Moskau und Kiew miteinander. Das ist eine gute Nachricht, denn nur so sind Kompromisse möglich.

Skeptiker halten das Ergebnis des Krisengipfel indessen für unbrauchbar. Es sei zwar schön, dass nun Demonstranten entwaffnet werden und der ukrainische Staat wieder das Gewaltmonopol übernehmen soll. Aber das sei nur Papier. Noch nicht mal ein Termin sei vereinbart worden. Vorsicht mit Maximalforderungen! Die Entwaffnung wäre derzeit, in Kiew und Donezk, nur mit massiver Gewalt möglich. Nichts aber wirkt derzeit verheerender als Gewalt, die eine Spirale der Rache in Gang setzt. Deshalb zeugt es von Augenmaß und nicht von Schwäche, dass in Genf kein Termin für die Entwaffnung von Militanten fixiert wurde.

Zu Verhandlungen gehört es, die andere Seite und deren Interessen als legitim anzuerkennen. Nur dann kann das Spiel von Geben und Nehmen funktionieren. In Genf hat es nun zaghaft begonnen: Demonstranten, die ihre Waffen abgeben, werden amnestiert. Die Genfer Erklärung skizziert einen Weg, wie eine Entkrampfung der Krise aussehen kann. Sie ist die erste Etappe in einem Langstreckenlauf.

Eine Schlüsselfrage lautet, ob die Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 25. Mai einigermaßen fair verläuft und ihr Ergebnis in Charkiw und Lwiw anerkannt wird. Der haushohe Favorit, der Oligarch Petro Poroschenko, ist zwar Teil der korrupten Oberschicht, aber jemand, der zwischen West- und Ostukraine vermitteln kann. Das ist entscheidend, um eine Gewalteskalation und ein Szenario wie in Jugoslawien 1991 zu verhindern. Deshalb ist es wichtig, dass diese Wahlen korrekt ablaufen. Dafür sind weit mehr als nur 120 OSZE-Beobachter nötig.

Kiewer Regierung ist kein Spiegel der ukrainischen Bevölkerung

Verfassungsreform angekündigt

Die proeuropäische Regierung in Kiew will der russischen Sprache einen „Sonderstatus“ einräumen. „Wir werden dem Russischen einen Sonderstatus geben und garantieren, es zu schützen“, erklärte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Freitag in einer Ansprache an die Nation. Die Regierung sei bereit zu einer breit angelegten Verfassungsreform, die außerdem den Regionen deutlich mehr Rechte geben solle. (afp)

Viele Militante in Donezk verstehen sich als Ukrainer, die keineswegs einen Anschluss an Russland wollen. Ihr Protest hat viele Motive: Frust über die miese wirtschaftliche Lage und Korruption und Angst, dass die russischsprachige Minderheit zu kurz kommt. Viele Ostukrainer empfinden es als Hohn, dass in Kiew ausgerechnet der rechtsnationale Swoboda-Mann Alexander Sytsch für die Rechte von Minderheiten zuständig ist.

Die Übergangsregierung in Kiew spiegelt nicht die ukrainische Bevölkerung wider. Deshalb sind so bald wie möglich auch Parlamentswahlen nötig. Doch bis dahin: Warum drängt die EU nicht darauf, eine neue Übergangsregierung von Moderaten zu bilden, die West- und Ostukraine repräsentiert? Das wäre auch ein Mittel, um den verbalradikalen Separatismus, der im Osten um sich greift, einzuhegen und über vernünftige, machbare Autonomieregelungen zu verhandeln. Eine ausgewogenere Regierung in Kiew würde auch der russischen Propaganda gegen die „Faschisten in Kiew“ den Wind aus den Segeln nehmen.

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Zudem: Warum keine internationale Untersuchungskommission, die recherchiert, wer auf dem Maidan für das Blutbad verantwortlich war? Das Misstrauen, dass der Swoboda-Generalstaatsanwalt objektiv ermittelt, ist begründet. Andererseits hat Russland während der Krimkrise ukrainische Schiffe beschlagnahmt, für die es zumindest Entschädigungen an die finanziell äußerst klamme Kiewer Regierung zahlen sollte.

Der Westen ist keineswegs ohnmächtig, wie viele Kommentatoren behaupten. Mit der richtigen Mixtur von Selbstkritik und Selbstbewusstsein, dosierten Sanktionsdrohungen gegen Moskau und dem Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, ist Entspannung möglich. Man braucht dafür gute Diplomaten. Und einen langen Atmen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • So schnell kann's gehen , Herr Reinecke .

    Heute sieht es wieder in der Ukraine so aus wie v o r dem Treffen in Genf : die Vereinbarung besteht offenbar nur aus "Mißverständnissen" , Kiew rührt sich nicht und die Separatisten ("Terroristen") auch nicht . Die Obama-Administration hatte ja in weiser Voraussicht garnicht damit aufgehört , über weitere Sanktionen nachzudenken ; die können einfach nicht glauben , dass sie mal nur zweiter Sieger sind ; und die eingesetzten 5 Milliarden für das "Destabilisierungsprojekt Maidan" (Nulan, CIA, Blackwater) abschreiben zu müssen tut ja auch weh .

    Tja, und Putin ? Der scheint entspannt den weiteren Lauf der Dinge abzuwarten . Gegen schmerzende Wirtschaftssanktionen des Westens hat er zweifellos schon Antworten vorbereitet .

    Nebenbei und ganz unwichtig : Die EZB plant in größerem Maße Staatsanleihen aufzukaufen . Geht nur um den System-Crash , in ein zwei vier Jahren .

  • Lieber Stefan Reinecke,

    dass du für diesen Artikel so viel Lob von diesen neurechten Putinfreunden, dieser Trollaktion bekommst, sollte dir zu denken geben...

    Das liest sich insgesamt und im Angesicht der Fakten fast wie eine Satire..,

  • Es ist Euch zu danken für diesen Beitrag. Endlich habt Ihr Stahlhelm, Knobelbecher und Sturmgewehr wieder in den Schrank gestellt und den ersten vernünftigen Kommentar seit einer langen Zeit des kalten Krieges abgegeben. Ich hoffe die taz ist wieder zurück an der Seite derjenigen, die bewaffnete Auseinandersetzungen vermeiden, nicht herbeischreiben wollen.

  • Was glauben Sie, lieber Herr Reinecke, was Russland noch alles anerkennen würde, um den mit der USA-Nato- entstandenen Konflikt zu beenden. Mit schlauer Diplomatie des Westens hat das wenig zu tun. Der Westen unterstützt die ukrainischen Putschisten und droht mit weiterer Zuspitzung. Die Russen wollen nicht , das Kiew austickt und weitere Menschen sterben müssen. Deshalb geben sie Positionen auf. Jetzt frage ich Sie! Sind die Putschisten in Kiew wirklich legal im Amt? Die haben doch, selbst unter Aufsicht von faschistoiden Waffenträgern, das erforderliche Quorum der ukrainischen Verfassung nicht erreichen können! Hat der Westen diese Regierung ernannt? Auf welcher völkerrechtlichen Basis arbeiten die Putschisten und warum können sie sogar die USA-Nato in einen kalten Krieg verwickeln? Verkennen wir nicht: die Russen sind verhandlungsbereit, aber nicht erpressbar. Sie werden die russischen Ukrainer nicht ihrem Schicksal überlassen, wenn die Faschisten in Kiew sich nicht an die getroffene Vereinbarung von Genf halten. Die Faschisten haben ihre Mitwirkung bei der Konfliktlösung bereits verneint. Den Russlandfreunden in den ostukrainischen Städten wird es unter diesen Umständen schwer fallen Waffen abzugeben. Und an wen sollen diese Waffen denn übergeben werden? Warum kann man in Ihrem Beitrag nichts vom §7 des Assoziierungssvertrages der Ukraine mit der EU lesen? Dort soll es, laut gut informierten Kreisen( Frau Krone-Schmalz gehört auch dazu) , um militärische Zusammenarbeit zwischen Nato und Ukraine handeln. Das würde den Konflikt und die Reaktion der Russen doch viel verständlicher machen. Ich danke Ihnen lieber Herr Reinecke, ihr Beitrag geht mit Sicherheit in die richtige Richtung. Doch man muss dem Konflikt jetzt auch mal auf den Grund gehen. Wer ihn gebastelt hat, ist für Europa untragbar. Deshalb müssen die Karten auf den Tisch! Wir haben doch noch Demokratie. Oder?

  • "Lob der Diplomatie

    Die Genfer Erklärung zur Lösung der Krise in der Ukraine ist ein Erfolg."

     

    Oder : "Gut , dass wir mal darüber gesprochen haben !"

     

    "Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine,"

    Aber Herr Reinecke , Sie können doch nicht von der EUSA verlangen zuzugeben , dass es ihnen nur darum gegangen ist und geht !

    (...selbst Merkel sollte man nicht zutrauen , die Ukraine als bankrotten 'failed state' jetzt auch noch an die nährende EU-Brust :) nehmen zu wollen ).

  • Endlich mal ein gemäßgter Beitrag ohne Vorwürfe. Der Autor hat völlig Recht. Es ist notwendig, daß die Ukrainer aufeinander zugehen und das Problem klären. Und wie vorhin bei BBC zu lesen war hat das offenbar auch die Kiewer Übergangsregierung verstanden: http://www.bbc.com/news/world-europe-27081271 Sie bieten den Ostukrainern einige Zugeständnisse an. Ich hoffe die Demonstranten in Donetzk und anderswo finden Bereitschaft dazu darauf in irgend einer konstruktiven Weise einzugehen.

  • Schön, in der TAZ auch mal einen einigermaßen ausgewogenen Beitrag zum Thema Ukraine zu lesen. Hoffentlich bekommt Stefan Reinecke damit keinen Ärger bei der "Die Russen sind an allem Schuld"-Fraktion.

    • @Knipperdollinck:

      Jaa! Ich stimme dir zu! :-)

  • Wer soll die Entwaffnung durchführen ? Ukrainische Truppen, die Polizei ?

    Blauhelme wäre eine Möglichkeit und Putin hätte dazu schon ne Idee:

    http://www.der-postillon.com/2014/04/ukraine-putin-stellt-50000-russische.html

  • 1. Die Putschregierung in Kiew ist eindeutig illegitim - sie wurde mit den Paramilitärs in den Gängen des Parlaments gewählt, und dennoch hatte das versuchte Impeachment von Janukowitsch nicht das verfassungsrechtlich notwendige Quorum an Abgeordneten. Damit ist J. formal noch im Amt.

    2. Eine Lösung kann nicht durch Drohungen und Gewalt, sondern nur durch einen "runden Tisch" aller Kräfte der Ukraine erreicht werden. Warum unterstützt der Westen weiterhin einseitig die illegitime Putschregierung, statt einen solchen inklusiven Prozess - vielleicht unter UNO-Aufsicht - zu fordern?

  • Reinecke schreibt:

    "Entspannung ist möglich – doch es braucht einen langen Atem. "

     

    Recht hat er. Es ist wie beim Waterboarding. Langer Atem.

     

    Zum Glück haben wir in Deutschland den ausgewogenen linksliberalgrünen Journalismus (der taz), der mit bewundernswerter Kompetenz, Fairness und Zivilcourage der Beeinflussung durch US-affine Journalistenschulen und Seilschaften widersteht.

     

    Während die anderen Massenmedien ungeprüft die Verlautbarungen des Kiever Innenministerium (SWODBODA), des Kiever Geheimdienstes (SWOBODA), des Kiever Generalstaatsanwalts und des Kiever Verteidigungsministeriums (SWOBODA) weitergaben, hat die taz diese Informationen kritisch beleuchtet.

     

    Die taz hat den Vergröberungen und Vereinfachungen von BILD und ZDF Widerstand geleistet. Hat alles hinterfragt, war die letzten drei Monate niemals mit SPIEGEL, sz, WELT oder gar BILD zu verwechseln.

     

    Danke, liebe taz.

     

    Dazu ein paar Schlaglichter:

    http://lastpub.at/lptchisrov.php?bild=quovjourn.jpg

    http://lastpub.at/lpindex.php

    • @Maidanski:

      :-)