Kommentar Generalstreik Griechenland: An der Schmerzgrenze
Ohne Wenn und Aber besteht die Troika diesmal auf Sparmaßnahmen der griechischen Regierung. Die sozialen Folgen werden als zweitrangig eingestuft.
D ie griechische Regierung steht wieder einmal am Scheideweg: Ihrem neuen Sparpaket in Höhe von 11,5 Milliarden Euro, das als Mindestvoraussetzung für die Auszahlung der nächsten Kredittranche für Griechenland gilt, wird überall mit Misstrauen begegnet.
Die Gewerkschaften protestieren lautstark dagegen, ausländische Medien vermuten neue Finanzierungslücken in Zig-Milliarden-Höhe, und die aus EU, IWF und EZB bestehende „Troika“ hat nicht vergessen, dass in der Vergangenheit griechische Regierungsvertreter zahlreiche Sparversprechen abgaben, die sie nicht einhalten konnten.
Bekämpfung der Steuerhinterziehung? Diese Zusicherung gab es schon vor zwei Jahren, aber sie hat nicht viel gebracht. Besteuerung der Reichen? Früher oder später hat man gemerkt, was man ohnehin hätte wissen sollen, nämlich dass die wirklich reichen Griechen ihre Geschäfte im Ausland tätigen – sonst wären sie ja gar nicht reich – und somit ihren Steuersitz außerhalb des Landes haben.
ist Griechenland-Korrespondent der taz.
Privatisierungen in Milliardenhöhe? Bereits 2010 hat der damalige sozialistische Ministerpräsident Giorgos Papandreou 50 Milliarden Euro aus dem Verkauf von Staatsvermögen in Aussicht gestellt, aber daraus ist praktisch nichts geworden.
Und weil es so ist, besteht die Troika diesmal ohne Wenn und Aber auf Sparmaßnahmen mit einem „geringen Realisierungsrisiko“, wie es so schön heißt im EU-Beamtenjargon. Mit anderen Worten: Gehalts- und Rentenkürzungen im öffentlichen Dienst müssen her, denn die Beamten können ihr Einkommen weder verstecken noch kleinrechnen.
Aus makroökonomischer Sicht mögen diese Einkommenskürzungen durchaus verständlich sein, doch für die Menschen in Griechenland ist schon längst eine Schmerzgrenze erreicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein Lehrer und Familienvater, der nach zehn Jahren im Dienst mit 900 Euro monatlich auskommen und davon auch noch seine Familie ernähren oder sein Haus abbezahlen muss, fühlt sich um sein Leben betrogen oder wird in die Schwarzarbeit getrieben.
Kann das der griechischen Regierung oder der Troika egal sein? Offenbar ist das nicht ganz nebensächlich, wird aber trotzdem als zweitrangig eingestuft. Was zählt, ist vor allem eins: dass die Zahlen dem Schein nach stimmen und dass das nächste Sparpaket in Höhe von 11,5 Milliarden Euro pünktlich verabschiedet wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter