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Kommentar GeneraldebatteIn Merkels Wattesound

Kommentar von Martin Reeh

Was wird man in 100 Jahren über das Jahr des Ukraine-Kriegs erfahren? Nicht viel von einer Kanzlerin, die außenpolitische Krisen kaum erkennt.

Kein Sensorium für außenpolitische Gefahren? Die Kanzlerin im Bundestag. Bild: dpa

M it Florian Illies’ „1913“ hat in den letzten beiden Jahren eine Gruselliteratur ganz eigener Art die Bestsellerlisten gestürmt. 1914 ging die europäische Normalität in der Großkatastrophe des Ersten Weltkriegs unter. Mit ihrem heutigen Wissen suchen die Leser in Illies’ Buch nach deren Vorzeichen im Jahr zuvor.

Was würden sie in hundert Jahren über „2014“, dem Jahr des Ukraine-Kriegs, des Islamischen Staats und der anhaltenden südeuropäischen Krise finden? Im Deutschen Bundestag: wieder eine Merkel’sche Watterede. So anstrengend und lang der Weg in der Ukraine-Krise sei, so überzeugt sei sie, dass er gelingen werde. Und die EU befinde sich auf Kurs, wichtig wäre, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingehalten wird.

So klingt der Merkel’sche Beruhigungssound, während in Frankreich und Großbritannien Front National und Ukip enormen Zulauf haben. Merkel bekräftigte gestern abermals, dass die europäische Krise eine „Staatsschuldenkrise“ sei. Die deutsche „schwarze Null“ ist daher zum Dogma geworden, obwohl in Europa weder Unternehmen noch Private ausreichend investieren.

Merkel fehlt in der Außenpolitik das Sensorium für heraufziehende Gefahren, das sie in der Innenpolitik besitzt. Bislang ließ sich das durch Sodierungsreden kompensieren, weil Deutschland von der EU-Krise profitiert hat und sich weder die Ukraine-Krise noch das Scheitern der arabischen Revolution nennenswert innenpolitisch ausgewirkt haben. Aber das muss nicht so bleiben.

Die europäischen Krisenmechanismen funktionieren noch immer besser als 1914. Aber es bleibt beunruhigend, dass an der Regierungsspitze eine Kanzlerin steht, bei der man nicht weiß, ob sie aus taktischen Gründen den Wattesound pflegt – oder selbst die Dimension der außenpolitischen Krisen nicht erkennt.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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4 Kommentare

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  • "Merkel'sche Watterede" , "Wattesound" , "Sedierungsreden" ...- sieht nicht danach aus , dass sie dafür von den Mainstream-Medien schon mal harsch kritisiert würde . Und "Das Volk" läßt sich von ihr gern das Valium verabreichen : Verdrängung und gleichzeitiges Wissen um den bedrohlichen düsteren Zustand der Welt um uns herum .

    • @APOKALYPTIKER:

      Ja ja... gut gesehen von Dir! Ist mir unerklärbar wieso Frau Merkel so sehr politisch phantasielos ist und riskiert die EU in die Grütze zu fahren... Sie `hätte´ den erneuten Kalten Krieg verhindern können.. `wenn´ sie sich zur Strategie der Entspannung und Annäherung der Ära Willy Brandt bekannt `hätte´ ..

      Sie wird ihrer Verantwortung für den "Europäischen Frieden" nicht gerecht.. naja: sie ist ja nur Bundeskanzlerin der BRD...

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Merkel pflegt halt das Image, das sie mit ihren Freundinnen Liz Mohn und Friede Springer kreiert hat: eine gerechte, nicht allzu strenge aber dennoch disziplinierte Mutter der Nation.

    Sie kann es sich gar nicht leisten, so den Sozialstaat zu demontieren wie Schröder&Co, weil es mit ihrer Wahrnehmung in der Bevölkerung unvereinbar wäre. Sie schafft aber jetzt schon (und zwar ganz bewußt) die Voraussetzungen für die nächste Runde, die sicherlich mit ihren Nachfolgern kommt. Sie tut's bisschen sozialdemokratisch und ermöglicht damit, die schon langsam sprießende Kampagne für "Strukturreformen".

  • Merkel wird den Ernst der Lage erkannt haben. Sie steuert zielgerichtet auf die Eskalation zu, unterstützt das Schüren der Angst (IS, Ebola, Russland) und nimmt den Zerfall Europas in Kauf. Die Frau ist ja nicht dumm. Die Frage ist nur, warum? Eigener Profit? Oder hat sie die Zügel gar nicht komplett in der eigenen Hand? Ist die Industrie zu stark? Ist die Politik zu schwach? Haben die Parteien überhaupt noch genug zu sagen? Ist unsere Demokratie ebenso kaputt wie die der USA, Russlands, Iraks, ... (alle auf ihre eigene Art und Weise natürlich)?