Kommentar Geheimhaltungsfrist beim VS: NSU-Bericht bleibt 120 Jahre geheim
Bis ins Jahr 2134 ist ein Bericht des Verfassungsschutzes über hessische NSU-Kontakte als geheim eingestuft. Das ist das Gegenteil von Aufklärung.
![Der damalige Leiter der Ermittlungsgruppe des Bundestags, Sebastian Edathy, neben den NSU-Akten im Jahr 2012 Der damalige Leiter der Ermittlungsgruppe des Bundestags, Sebastian Edathy, neben den NSU-Akten im Jahr 2012](https://taz.de/picture/2116046/14/7506901.jpeg)
N otiz an die Kinder meiner Kindeskinder: Bitte am 20. November 2134 im Space-Archiv per Weltraumanfrage den „Abschlussbericht zur Aktenprüfung“ des hessischen Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2014 anfragen. Denn der Bericht über NSU-Kontakte der lokalen Neonaziszene soll für schlappe 120 Jahre geheim bleiben. Geheimhaltungsstufe bis in den Tod-Tod.
Lückenlose Aufklärung versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel einst den Betroffenen. Einen Stinkefinger und einen Tritt in die Magengrube gibt es in Wirklichkeit. Das Schlimmste ist dabei, dass Dinge wie die skandalöse Geheimhaltungsfrist kaum noch jemanden überhaupt aufregen. Denn sie ist nur eine Frechheit unter unzähligen des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex. Ein Amt, in dem Akten mit möglichem Bezug zu einer rechtsterroristischen Mordserie geschreddert werden („Aktion Konfetti“), ist wohl eher am Gegenteil von Aufklärung interessiert.
Der nun zurückgehaltene Bericht soll 30 Belege über Verbindungen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zur hessischen Neonaziszene zwischen 1992 und 2012 enthalten. Er könnte wichtige Antworten auf die Fragen liefern, wie der NSU Tatorte auswählte und wie er dabei auf die Unterstützung der lokalen Neonaziszene zurückgriff. Antworten, die insbesondere in Hessen interessant sind, wo Verfassungsschützer Andreas Temme, V-Mann-Führer des NSU-Kontakts Benjamin G., sich zum Tatzeitpunkt in genau jenem Internetcafé in Kassel aufhielt, wo Halit Yozgat 2006 ermordet wurde. Herausgekommen ist bereits im hessischen Untersuchungsausschuss, dass das dortige Landesamt schon 1999 Hinweise auf „National Sozialistische Untergrundkämpfer Deutschlands“ hatte.
Also, liebe Kinder meiner Kindeskinder, kurz zur historischen Einordnung: Mit dem Dokument lässt sich das Wirken und die Wirkung von Rassismus in der spätkapitalistischen Gesellschaft historisch-soziologisch einordnen. Interessant dürfte dabei insbesondere die gesellschaftliche und staatliche Nichthaltung sein. Es geht um nicht weniger als die gesellschaftliche und staatliche Verantwortung für Rechtsterrorismus und vielleicht sogar um das Verwickeltsein darin, um dessen Deckung oder Nichtaufdeckung. Seid froh, dass ihr diesen ganzen Nationalstaatenquatsch hinter euch habt.
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