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Kommentar Geburtstagskind KohlEin Mann von Format

Ines Pohl
Kommentar von Ines Pohl

Es gibt mindestens drei gute Gründe, warum Helmut Kohl auch an seinem 80. Geburtstag der Kanzler aller Deutschen sein sollte.

Ausgerechnet die taz gratuliert dem Eisernen Kanzler? Na klar! Denn gerade für linke Freidenker gibt es mindestens drei gute Gründe, warum Helmut Kohl auch an seinem 80. Geburtstag der Kanzler aller Deutschen sein sollte.

Gewiss, ohne ihn hätten wir mehr Geld in den öffentlichen Kassen - aber welches Antlitz trüge unser Sozialstaat? Nur ein Mann seines Formats war in der Lage, die neoliberalen Bestrebungen eines Oskar Lafontaine abzuwehren - jene pseudofreien Welt- und Wertvorstellungen, die auch bei nicht wenigen Grünen inzwischen salonfähig sind. Ein "Sozen"-Kanzler wäre immer versucht gewesen, sich auf Kosten der eigenen Klientel zu profilieren und marktradikal die Grundidee des Sozialstaates anzukratzen.

Bild: bernd hartung

Ines Pohl ist Chefredakteurin der

Kohls Staatsräson kommt Deutschland teuer zu stehen. Aber ohne den Mann aus der Pfalz würden markige Sprüche wie "Leistung muss sich wieder lohnen" unser Land noch deutlicher in Gewinner und Verlierer spalten. Hier gebührt ihm Respekt. Gleiches gilt für seine von leidvoller Welterfahrung geprägte Weigerung, deutsche Soldaten in Auslandseinsätze zu schicken. Wir müssen zugeben: Für sein eindeutiges, ja halsstarriges "Ich sage Nein" zum Kriegseinsatz deutscher Soldaten hegen wir fast schon so etwas wie Bewunderung.

Last, but not least: Helmut Kohl ist und bleibt der Kanzler der Einheit. Über den Mauerfall hinaus ist es dem Mann, der sich wie kein anderer die Gunst der Stunde zunutze zu machen weiß, gelungen, die PDS in die Regierungsarbeit einzubinden. Man mag sich gar nicht vorstellen, welche Verheerungen eine wie auch immer sich dann nennende "Linkspartei" in der deutschen Parteienlandschaft hätte anrichten können. Helmut Kohl hat auch diese für ihn vielleicht bitterste Pille tapfer geschluckt - und verdaut.

Was eigentlich könnte man bekritteln an dieser geistig-moralisch kohärenten Weltanschauung? Herr Dr. Kohl, möchte man dem Jubilar für eine möglichst bis zum ehrwürdigen 90. Lebensjahr tapfer geschulterte Amtsbürde mitgeben: Wäre Ihr Jubiläum nicht ein guter Moment, mit der Milde des Alters eine Agenda 2020 zu formulieren?

Geben Sie sich doch den ein oder anderen Ruck! Selbst in Polen und Italien dürfen Schwule und Lesben mittlerweile heiraten! Und wäre es nicht an der Zeit, jene verbitterten Männer und Frauen aus der freien Wirtschaft in die Politik zurückzuholen, die - einst als Pizza-Connection bekannt - der Union helfen könnten, sich in eine (Pardon) weltoffenere Richtung zu entwickeln? Auch im Asylrecht kann viel getan werden, was Ihren Eintrag im Goldenen Buch der Geschichte noch strahlender glänzen ließe. Und schließlich: Gerade Ihnen als Übervater so vieler deutscher Generationen müsste doch die freie Entfaltung der Hälfte der Bevölkerung am Herzen liegen. Es muss ja nicht gleich die Frauenquote sein, aber im Bereich Gleichberechtigung wären mit einigen kleinen Veränderungen wahrlich große Wirkungen zu erzielen. Hören Sie doch mal auf die energische Stimme Ihrer Abgeordneten Ursula von der Leyen! Zuletzt gälte es, als treu sorgender Großvater noch einmal die starre Haltung in Sachen Atompolitik zu überdenken - schließlich sind es auch Ihre Enkel und Urenkelinnen, die mit dem tödlichen Müll leben müssen.

Herr Dr. Kohl, die taz wünscht Ihnen in diesem Sinne alles Gute zum Geburtstag!

P.S. Haben Sie mal aufs Datum geschaut? Ach ja: heute ist der 1. April...

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Ines Pohl
Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)
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13 Kommentare

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  • A
    Amos

    Ein Mann von Format? Da muss man laut lachen!?

    Damals der GigaHoko der Nation, der Weltmeister des Aussitzens. Einfach ein pathologischer Egomane;dem dazu nocht die Wiedervereinigung in den Schoss gefallen ist; und danach in der ehemlg. DDR noch Raubbau betrieben hat und viele arbeitslos machte um seine westlichen Industriekumpel zu schützen. Nach Kohl konnte nur noch ein Schröder kommen, der

    seine Wähler- Klientel vollends in den Arsch trat um dem Neoliberalsimus und dem ungezügelten Bankenmonopoly freien Lauf zu lassen. Der sich im

    Maßanzug als neues Bonzenzäpfchen bewies. Der mit einem Vorbestraften einen Plan ausheckte, der große Teile der Bevölkerung in Ghettos zwang und Armut

    säte. Kohl trägt an dem heutigen Zustand die größte

    Schuld. Schröder war quasi das Abfallprodukt der Kohl- Politik. Ohne Kohl hätte es den "Schröderianismus" wohl nicht gegeben.

  • A
    Amos

    Da wo Deutschland jetzt steht, hat es zum größten Teil Kohl zu verdanken. Ohne Kohl hätte es die Schröderianer nicht gegeben. Dem deutschen Volke wäre viel erspart geblieben. Die Korruption wäre nicht so

    ausgeartet-, und auch die Selbstbereicherung in der

    Politik nicht. Denn wie der Herr so's das Gescherr.

  • C
    claudia

    Der Kohl verursacht Blähungen

  • P
    Pecuchet

    Chapeau, da bin ich wohl reingefallen! Mist! Wie auch immer, schöne Grüße an Ines Pohl.

  • M
    Meckerheini

    Habe die gleiche Meinung wie MikaL! Ist schon eigenartig in diesem unserem Lande mit der Vergangenheitsbewältigung mancher Übermenschen...

  • V
    vic

    Frau Pohl, mit sowas macht man keine Scherze...;)

  • V
    vic

    Ich konnte ihn nie ausstehen. Daran hat sich nichts geändert und wird es auch künftig nicht.

    Schon aufgefallen, dass Mädchen das Ganze schlauer angeht?

    Sie wird länger durchregieren als der Dicke, denn sie wechselt einfach nur die Kleinpartner-Farben.

    Von blassrot über gelb zu grün- und wieder von vorn? Merkel 4 ever-oder folgt gar Guttenberg?

    Erbarmen.

  • AW
    Au Wei

    An sich bin ich nicht sonderlich religiös. Aber manchmal wäre es doch zu schön, wenn der liebe Gott endlich mal etwas Hirn vom Himmel werfen würde.

    1. April... hallo? steht da doch...

    Das 1.April-Scherz-Brauchtum sollte durchaus bekannt sein (lernt man üblicherweise schon im Vorschulalter).

    Offenbar ist es nicht immer Fall.

    Deshalb:

    Am 1. April machen manche Leute Scherze. Wenn sie Angst haben, dass das nicht verstanden wird, weisen sie sogar auf das Datum hin. Wenn sie so tun, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass hier etwas nicht ganz ernst gemeint ist...

  • BH
    Banjo Hansen

    Kohl war der Wegbereiter und Protagonist der so beklagten Politikern neuen "Stils". Dieser Kanaille wird hier also Absolution erteilt nach dem Motto: Heute ist es noch schlimmer. Alles vergessen, nicht? Das Einzige, was in den bleiernen Jahren blieb, als Zitat: Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära.

  • E
    elena

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    prima!

  • UR
    Uwe Roos

    Kohl DER Kanzler!

     

    Helmut Kohl war die Achtziger und die Neunzigr Jahre.

    Er polarisierte die Gesellschaft und war ein

    ständiges Konjunkturprogramm für Kabarettisten.

    Aber eines muss man ihm zugute halten: Er und seine

    Politik waren für die Gegner berechenbar. Was man heute

    wirklich nicht mehr von der herrschenden Kaste sagen kann.

  • M
    MikaL

    " 3 gute Gründe, warum Kohl Kanzler aller Deutschen sein soll?"

    Gratulation Frau Pohl, gut eingereiht in die Fraktion der Bejubler...und Verschweiger.

    Nein, mein Kanzler ist er nicht. Kohl durfte als Kanzler vor Gericht offiziell einen "Black-Out" vorgeben statt die Wahrheit zu sagen (jeder andere wäre evtl. in Beugehaft gelandet)und darf - offiziell geduldet- bis heute seine Spender verschweigen. Dieses Verhalten des Bundeskanzlers Kohl, heute Ex-Kanzler, war und ist eine ungeheure Mißachtung des deutschen Rechtsstaates. Das wird stets untertänigst verschwiegen. Genauso wie bei Lambsdorffs Tode dessen Vorstrafe.

    Die politische Klasse in diesem Lande stellt sich außerhalb von Recht und Ordnung. Die Presse spielt mit.

    Jeden anderen Menschen hätte ein derartiges Verhalten wie jenes von Kohl um seine Existenz gebracht.

  • P
    Pecuchet

    Oh mein Gott, möchte man da sagen, wenn der zur Zeit nicht selbst, bzw. seine Mitarbeiter, so eine schlechte Presse hätte. Kohl ist also der Retter vor dem Neoliberalismus vom Schlage eines Oskar Lafontaine?

     

    Wer, bitte schön, hat denn dieses Land 16 lähmende Jahre im Bündnis mit den Liberalen regiert (man nannte es damals "Aussitzen")? Wem haben wir diese tolle "geistig moralische" Wende zu verdanken, die dazu geführt hat, dass ein Ex-Bundeskanzler zum Abschluß seiner Dienstzeit sich legitimiert fühlte, durch ein "Ehrenwort" die Spitzenspender seiner korrupten Partei vor dem Zugriff der Justiz zu schützen.

     

    Als die deutsche Einheit möglich wurde, war Kohl einfach da. Das ist sein historisches Verdienst. Es ist aber nicht seine Leistung, dass sie möglich wurde. Dafür steht ein anderer der deutschen Politik, ein wahrhaft Großer, möchte man sagen, nämlich Willy Brandt.

     

    Es ist ein guter Brauch, einen Menschen zum runden Geburstag zu gratulieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist aber hoch bedauerlich, wenn bei einigen Journalisten die Narkose von 16 Jahren Kohlregierung immer noch nachwirkt und sie aus dieser Zeit offenbar nichts gelernt haben (wollen).