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Kommentar GazastreifenHamas braucht Israel

Kommentar von Susanne Knaul

Ein Ende der Gewalt im Gazastreifen kann nur von der Hamas ausgehen. Sie müsste ihre Raketenangriffe stoppen - aber die Hoffnung, dass sie das tut, ist gering.

D ie israelische Armee versetzt den Extremisten im Gazastreifen einen schweren militärischen Schlag nach dem anderen - politisch sind die Luftattacken und der vorläufig noch punktuelle Einmarsch indes kontraproduktiv. Denn sobald die Kampfpiloten der israelischen Luftwaffe am Himmel über Chan Junis und Gaza ihre Kreise zogen, richteten die zuvor miteinander kämpfenden Aktivisten von Hamas und Fatach ihre Waffen umgehend in dieselbe Richtung.

Bild: privat

Susanne Knaul ist Nahost-Korrespondentin der taz.

Zuvor hatte die Hamas wochenlang darauf gedrängt, die Gespräche über eine Nationale Einheitsregierung wieder aufzunehmen, was die Fatah stets ablehnte. Erst als der Sohn des ehemaligen Außenministers gefallen war, reisten Mitglieder der politischen Führung im Westjordanland nach über sieben Monaten des Boykotts wieder in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen. Das Prinzip der Konfliktschlichtung im eigenen Volk durch Aktivierung des gemeinsamen Feindes hat schon immer geklappt. Und die israelische Führung lässt sich in ihrer Ohnmacht angesichts des andauernden Raketenterrors allzu leicht in diese Falle locken.

Umso schwerer lässt sich nachvollziehen, warum die israelische Regierung die wiederholten Waffenstillstandsangebote der Hamas so hartnäckig ablehnte. Stattdessen drängt der Verteidigungsminister in Jerusalem erneut auf eine unbefristete Großoffensive.

Ein Ende der Gewalt scheint - wenn überhaupt - nur von der Hamas ausgehen zu können. Sie könnte nach dem Prinzip funktionieren, das Soldaten an der Westfront Weihnachten 1914 praktizierten. "We not shoot, you not shoot", riefen sie damals und stellten das Feuer ein. Israel hat versprochen, die Voraussetzung für einen Waffenstillstand bestünde lediglich darin, dass die Hamas ihre Raketenangriffe stoppt. Genau das müsste die Hamas jetzt tun - so wie sie es immer wieder ankündigt. Doch viel Hoffung, dass das ernst gemeint ist, gibt es nicht. Schließlich braucht die Hamas Israel als Angreifer politisch überaus dringen

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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1 Kommentar

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  • K
    K.T.

    Warum tut sich Susanne Knaul nur so schwer die kaum zu übersehende Absicht der israleischen Regierung bzw. des Militärs zu benennen? Ist die Frage ernsthaft gestellt, warum die israelische Regierung das jüngste Waffenstillstandsangebot der Hamas ablehnt, oder ist sie - wie es mir wahrscheinlicher scheint - rhetorisch gemeint? Uri Avnery hat hier einen aufschlussreichen Artikel am 21.12. verfasst "Hilfe ein Waffenstillstand" aus dem ich auszugsweise zitieren möchte:

     

    "Die israelische Seite behauptet, dass sie nur auf die Qassams und Granaten reagiert. Welch souveräner Staat kann es denn tolerieren, mit tödlichen Raketen von der andern Seite der Grenze bombardiert zu werden?

     

    ...Wenn die Qassams unsere politischen und militärischen Führer wirklich stören würden, dann hätten sie das Angebot des Waffenstillstands sofort aufgegriffen. Aber die politische Führung kümmert sich um die Bevölkerung von Sderot nicht ernsthaft; sie gehört zur geographischen und politischen 'Peripherie' - sie ist weit vom Landeszentrum entfernt. Sie trägt kein politisches und kein wirtschaftliches Gewicht. In den Augen der Führung ist ihr Leiden alles in allem erträglich. Die Qassams haben nämlich auch eine bedeutsame positive Seite: sie liefern einen idealen Vorwand für die Aktivitäten der Armee.

     

    DAS ISRAELISCHE strategische Ziel im Gazastreifen ist nicht, den Qassams ein Ende zu bereiten. Es wäre nicht anders, wenn keine einzige Qassam nach Israel fiele.

     

    Das wirkliche Ziel ist, die Palästinenser, d.h. die Hamas zu brechen.

     

    ...Einer nach dem anderen der palästinensischen Führer und Kommandeure wird aus der Luft getötet. Jeder Punkt des Gazastreifens ist den israelischen Flugzeugen, Helikoptern und Drohnen ausgesetzt. Allerneueste Technologie macht es möglich, die 'Kinder des Todes' , die zum Töten Gekennzeichneten, aufzuspüren, auch mit der Hilfe eines weiten im voraus aufgebauten Netzes von Informanten und Agenten, die teilweise zu ihren 'Leistungen' genötigt werden, rundet das Bild ab.

     

    Die Armeechefs hoffen, dass sie durch das Anziehen aller Schrauben die lokale Bevölkerung dahin bringen können, dass sie sich gegen die Hamas und die anderen kämpfenden Organisationen erheben wird. Die ganze palästinensische Opposition gegen die Besatzung werde zusammenbrechen. Das ganze palästinensische Volk werde die Hände heben und sich auf Gedeih und Verderb der Besatzung ergeben, die dann tun und lassen kann, was ihr beliebt: Land enteignen, die Siedlungen vergrößern, Mauern und Straßensperren bauen und die Westbank in eine Reihe halb autonomer Enklaven aufteilen."

     

    Uri Avnery macht in diesem Artikel - fast möchte man sagen in weiser Vorraussicht - auch darauf aufmerksam, dass dieses Kalkül sich auch schnell gegen die Besatzer wenden kann:

     

    "Die Regierung mag sich täuschen, wenn sie mit dem Gehorsam der Fatah rechnet. Im Wettbewerb mit der Hamas könnte die Fatah überraschen und wieder eine kämpfende Organisation werden.

    ... So wird ein Waffenstillstand wohl nicht in Funktion treten. Olmert verwarf die Idee sofort. Dann wurde dies geleugnet, dann wurde die Leugnung geleugnet."

     

    Dieses strategische Kalkül der israelischen Regierung wird von Susanne Knaul schlichtweg ignoriert. Vielleicht erscheint es ihr zu konspriativ, zu lebensfremd zu sein. Immerhin haben wir es mit einer israelischen Regierung zu tun, die um ihr Überleben kämpft und unberechenbar erscheint. Aber ohne solch einen existierenden den politischen Rahmen absteckenden Masterplan ist nicht zu erklären, warum dieses Waffenstillstandsangebot der Hamas in den führenden politischen Kreisen geradezu wie ihr Gegenteil behandelt wurde: wie eine Kriegserklärung, d.h. der Feind wendet jetzt noch raffiniertere Methoden an, auf die wir mit noch mehr Vorsicht reagieren müssen. Tatsächlich hatte sich die Hamas in ihrem Waffenstillstandsangebot im wesentlichen ausbedungen, dass die gezielten Tötungen eingestellt werden. Ein Preis, denn die BewohnerInnen Sderots sicherlich nur allzu gerne gezahlt hätten.

     

    Es erscheint mir zynisch zu behaupten, die Hamas brauche die Überfälle der Armee. Wann hört Susanne Knaul endlich damit auf die Hamas aus dem beschränkten Blickwinkel eines counterinsurgents zu betrachten, der sich eine friedenspolitische Lösung nur mit dem Verschwinden (sprich Vernichten) solch einer Organisation vorstellen kann.