Kommentar Gauck: Fiktion der Überparteilichkeit
Über die Parteien wirkt nur noch die Hälfte der Bürger an der Inthronisierung Gaucks mit. Den Parteien fehlt es am wirklich breiten Mandat.
D a wird nach einem neuen Bundespräsidenten gesucht - und ausgerechnet Parteipolitiker singen das Lied der "Überparteilichkeit". Was hat es wirklich auf sich mit diesem Begriff, der die Nominierung Joachim Gaucks überstrahlte?
Gar nichts. Das ging schon beim Ausschluss von zwei Parteien los, die auch in der Bundesversammlung vertreten sind. Es spielt keine Rolle, ob die Piraten lieber über einen Kabarettisten diskutieren und man die Kooperation mit der Linken schon immer gescheut hat. Nein - wer andere aus der Findung heraushält, sollte sich nicht einmal "überfraktionell" nennen.
Mehr noch: Regierung und ein Teil der Opposition haben sich gar nicht erst die Mühe gemacht, die Nachfolgedebatte tatsächlich "über die Parteien" hinaus zu öffnen. Das wäre schon deshalb richtig gewesen, weil die Integrationskraft der repräsentativen Demokratie abnimmt. Über die Parteien wirkt nur noch die Hälfte der Bürger an der "politischen Willensbildung" mit - die anderen gehen nicht mehr zur Wahl oder organisieren sich selbst, in Initiativen oder im Internet. Den Parteien, die Gauck inthronisieren, fehlt es am wirklich breiten Mandat.
"Überparteilichkeit" ist zudem eine Fiktion. Zwar neigen Verfassungsexperten dazu, den Präsidenten als pouvoir neutre zu verstehen, als neutrale Macht, die, über allem schwebend, die "Staatskontinuität" verkörpert. Doch dies entspricht weder der politischen Realität noch der Idee von Wahlen: In einer lebendigen Demokratie braucht es verschiedene Kandidaten, um den real existierenden Gegensätzen ein Gesicht zu geben.
Darauf hat die schwarz-rot-grün-gelbe Nominierungsrunde verzichtet. Für diese angebliche "Überparteilichkeit" hatte sie Gründe - parteiliche.
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