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Kommentar G 8 in GenuaPontius Pilatus und die Brutalo-Beamten

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die systematische Gewalt der Polizei gegen Demonstranten bei G8 in Genua schockierte - genau wie das Urteil: Straflosigkeit für alle. Eine Justizfarce.

S chockierend waren die Berichte, die Ende Juli 2001 aus dem Polizeigefängnis Bolzaneto in Genua drangen. Von einer "Suspendierung des Rechtsstaats" sprach seinerzeit amnesty international. Mit gutem Grund: Menschen, deren einziges Vergehen es war, gegen den G-8-Gipfel protestiert zu haben, wurden hier tagelang systematisch misshandelt, geprügelt, gedemütigt.

Schockierend ist jetzt auch das Urteil, das in Genua gegen 45 in Bolzaneto eingesetzte Beamte fiel. Es verwandelt das Drama in eine Justizposse. Auf den ersten Blick klingt es ganz so, als widerfahre den Opfern wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit: Immerhin wurden gegen 15 Polizisten, Gefängniswärter und Gefängnisärzte Haftstrafen verhängt.

Doch hinter dem Anschein einer Strafe verbirgt sich in Realität völlige Straflosigkeit - vorneweg für die 30 Beamten, die gleich komplett freigesprochen wurden. Straflosigkeit aber auch für alle anderen. Denn binnen weniger Monate wird die Verjährung greifen. Und ausgerechnet jenes Delikt, das eine weit längere Verjährungsfrist vorsieht, sah das Gericht in keinem einzigen Fall gegeben: Amtsmissbrauch habe es in Bolzaneto angeblich nie gegeben, befand das Gericht.

Gegeben habe es dort bestenfalls ein paar isolierte Übergriffe, in denen die Richter weder System noch gar den Tatbestand der Folter erblicken wollten. Zugleich sprachen sie, in völligem Widerspruch dazu, 150 Opfern Schadenersatz zu. Bei diesem Urteil war nicht Salomon am Werk, sondern Pontius Pilatus. Einen milden Rüffel erteilten die Richter den Brutalo-Beamten. Zugleich bedeuteten sie deren politischer Führung: Was in Bolzaneto geschah, wäre eigentlich eine Straftat gewesen.

Eine Straftat im Konjunktiv - dies ist die wahre Botschaft des Urteils. Denn die Täter kommen ungeschoren davon; sie sind weiter im Dienst. Im Dienst ist wieder auch jener Ministerpräsident, der schon 2001 die politische Verantwortung trug. Nächstes Jahr steht in Italien wieder ein G-8-Gipfel an - und alle Verantwortlichen wissen nun, dass sie an der Protestfront volle Handlungsfreiheit haben.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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1 Kommentar

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  • CS
    Calogero Sciascia

    Wenn ich als politisch interessierter und informierter Deutsch-Italiener meinen Freunden und Kollegen über die Vorgänge in Italien berichte, stoße ich praktisch immer auf ungläubiges Staunen, ob der sozialen, politischen, medialen Zustände in diesem Land. Die Betonung liegt auf "ungläubiges", denn so recht glauben will und kann man wohl die desolate Situation in Italien als Außenstehender auch nicht.

    Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr und noch tiefergründig über Italien berichtet wird. Z.B. über einen Emilio Fede, der als Nachrichten direktor im Berlusconi Kanal Rete4 in "Schwarzer Kanal"-Manier gegen die "Kommunisten" (also alle die gegen Berlusconi sind) hetzt, ja hetzt!

    Oder über die Kampagne sämtlicher Medien gegen Marco Travaglio, einen der wenigen Journalisten, die es schaffen sich mit kritischen Berichten Gehör zu verschaffen.

    Oder über das italienische Justizsystem, das keines mehr ist...

    Oder über die Verarmung großer Bevölkerungsschichten (vor allen Dingen junge Familien mit Kindern).

    Oder über die "politische Kaste", die ("rechts" wie "links")in neuen sozialen Bewegungen eine Bedrohung Ihrer Previlegien sieht und sie medial gezielt verleumdet.

    Oder über die Verseuchung ganzer Landstriche des ach so schönen Italiens.

    Oder über die gesellschaftliche Stimmung, wo derjenige der versucht etwas für das Gemeinwesen zu tun, zuerst ausgelacht und wenn das nicht hilft, auf das äußerste bekämpft wird. Altruimus gibt es in Italien nur innerhalb der Familie und engen Freunden, außerhalb gibt es nur Abzockerei.

    Oder über das parlamentarische Sytem, wo sich kein Abgeordneter mehr direkt wählen lassen muß, sondern nur noch über Liste ins Parlament kommt- Freunde, Physiotherapeuten, Anwälte, Freunde der Freunde, Lakaien des Herrn B. z.B., aber auch der sogenannten Opposition...

    Vielleicht würde sich in Italien ein bißchen was

    bewegen, wenn die europäischen Medien die demokratische Kontrollfunktion übernehmen könnten, die italienische Medien nicht mehr ausüben können.