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Kommentar Fußball-TransfersummenDer Zirkus braucht halt Attraktionen

Jürn Kruse
Kommentar von Jürn Kruse

Darf ein spanischer Fußballverein in Zeiten der Eurokrise 100 Millionen Euro für einen Spieler ausgeben? Klar. Denn das Geld ist eine Investitionssumme.

Da war ein Teil der 100 Millionen schon wieder drin: Mehrere zehntausend Fans kamen zur Präsentation von Gareth Bale in Madrid Bild: reuters

G areth Bale wechselt für 100 Millionen Euro von Tottenham Hotspur zu Real Madrid. „Derartige Summen sind grundsätzlich indiskutabel und in Zeiten der Euro-Krise eine gesellschaftliche Provokation“, kommentiert Gerhard Delling in den Tagesthemen – und kommt natürlich nicht ohne die Hinweise auf die Unmoral, die Staatsschulden Spaniens und die hohe Jugendarbeitslosigkeit aus. Als hätte der Fußballklub Real Madrid mit dem Geld auch mal eben den Staatshaushalt sanieren und die jungen Leute von der Straße holen können.

Real ist ein Unternehmen. Wie kein anderer Verein ist der Klub der fußballgewordene Wanderzirkus. Im Sommer werden die Spieler auf Tournee geschickt. Die Zuschauer bezahlen fürs Zuschauen beim Training – in den USA genauso wie im fernen Asien oder auf der arabischen Halbinsel.

Geld wird auf allen Kontinenten verdient. Und um als Zirkus überall auf der Welt bekannt zu sein, bedarf es der größten Attraktionen. Allein die Aufregung, die nun ob dieser „indiskutablen“ und „provozierenden“ Ablöse herrscht, hilft Real, hilft der Marke, hilft dem Zirkus.

Aber da sind ja nicht nur die Moralisten, die den Transfer verdammen, sondern auch die vermeintlichen Fußballkenner, die jetzt vorrechnen, wie viele ähnlich begabte Profis sich Real für die 100 Millionen hätte kaufen können. Drei Mal hätten sie dafür Isco bekommen.

Isco? Das ist ein hochtalentierter spanischer Mittelfeldspieler, den Real in diesem Sommer aus Malaga geholt hat – für geschätzte 30 Millionen. Den kennt außerhalb der Stadien kaum einer. Bale kennt jetzt fast jeder. Die „Tagesthemen“ werden rund um den Globus nicht die einzige Nachrichtensendung gewesen sein, die den Transfer des Walisers kommentierten. Über Iscos Wechsel sprachen im Sommer nur Insider.

Verdreifachter Trikotverkauf

Dennoch vereint Bale und Isco ein wichtiges Vertragsdetail: Beide müssen von nun an die Hälfte ihrer Werbeeinnahmen an Real Madrid abdrücken. Bei wem wird die weltweite Vermarktung wohl besser gelingen? Als der unverschämt teure David Beckham 2003 für 37,5 Millionen aus Manchester kam, verdreifachte er den Trikotabsatz der Königlichen aus Madrid gleich in seiner ersten Saison.

Der Profifußball ist ein Geschäft. Real ist ein global aufgestelltes Unternehmen. Bale ist eine Investition. Sie könnte sich schneller rentieren als drei Iscos.

Übrigens: Real Madrid machte im vergangenen Jahr 32 Millionen Euro Gewinn – trotz der schwierigen Wirtschaftslage in Spanien. Warum? Weil die Firma global aufgestellt ist. Doch was dem deutschen Mittelstand hoch angerechnet wird, sorgt bei Gerhard Delling und Co. für Kopfschütteln, als dürfte sich ein krisengeplagtes Land wie Spanien ein Geschäftsmodell à la Real Madrid nicht erlauben

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Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
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10 Kommentare

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  • Sitzt der Uli Hoeneß eigentlich immer noch? Kein weiteres Unrecht an Uli Hoeneß!

  • G
    Goalharry

    Zwei Anmerkungen:

    1. ohne sportlichen Erfolg wird das Modell "Real Madrid" nicht mehr lange gut gehen.

    2. Wer einen Bale kennt, weiß auch wer Isco ist.

  • Nur Thorsten Mattuschka wäre diese IRRSINNIGE Summe wert.Den wollten die Kapitalisten von Real unbedingt. Aber UNION lehnte ab und Tusche wollte auch nicht. Köpenick ist schöner.

  • W
    wolf

    der wichtigste Punkt, warum es sich für Real rechnet, ist die Beteiligung an allen Werbeverträgen, während der Spieler bei Real spielt. Zusammen mit dem Trikotverkauf und der Ablöse beim Wiederverkauf ist der Spieler finanziert. Man nehme nur Özil - er hat pro Jahr Real über 15 Mio € gebracht!

  • N
    Netzer

    da hat sich wohl jemand von der aktuellen 11Freunde sagen wir mal inspirieren lassen...

  • AN
    ailancek necessarie

    Sorry, das ist ja alles schön und gut, ich will dem Gesagten auch gar nicht widersprechen. Sicher funktioniert der Kapitalismus so. Aber ist es die Aufgabe eines taz-Kolumnisten, Kritiker der Auswüchse desselben in die Schranken zu weisen? Was trotz aller Gesetze des Kapitalismus oder besser: genau derentwegen indiskutabel und provozierend ist: dass die Leistung des einen, hier Fussball spielen, so viel höher eingeschätzt wird als die eines anderen, sagen wir einer Krankenschwester. Und zwar nicht doppelt so hoch. Wer glaubt, dass fussballspielen wertvoller und wichtiger ist, als sich um Kranke zu kümmern, der hat einfach den Torschuss nicht gehört. Diese ungleiche Wertschätzung ist unerträglich und für jeden arbeitenden Menschen demotivierend. Wenn sie nicht bereits Fakt wäre, hätte man sie aus satirischen Gründen erfinden müssen. Aber da war Real, wie der Name schon sagt, schneller als der Zyniker. Eine vorgebliche Leistungsgesellschaft, in der sich Leistung nur in ganz wenigen Bereichen lohnt, lässt die anderen Bereiche krepieren. Was spräche eigentlich dagegen, dass Real die jungen Leute von der Strasse holte? Etwa, dass der Kapitalismus so nicht funktioniert? Na, dann schafft ihn halt ab, wer braucht ihn schon ausser den Bales, den Lehmans und den Ackermanns dieser Welt?

  • KK
    Karl Kong

    Sie scheinen ja ein Anhänger von Milton Friedman zu sein, wenn sie den Hinweis auf eine moralische Problematik bei diesem Geschäft kritisieren.

    Es ist aber ja gerade die gesellschaftliche Duldung

    dieser ökonomisch-sozialen Diskrepanz die uns in diese wirtschaftlich prekäre Lage gebracht hat.

    Das Manager und Ökonomen gerne Ihr Gewissen mit dem Hinweis ausschalten sie seien für Ethik und Moral nicht zuständig kann ich ja noch

    nachvollziehen, aber das wir als Gesellschaft diese Spielregeln zulassen ist mir unbegreiflich. Wir lassen ja auch keinen Dieb oder Betrüger nicht mit dem Hinweis er sei für Eigentumschutz nicht zuständig, davon kommen.

  • Ich danke der taz für diese saubere Aufdröselung der Dinge und die Hinweise auf die Funktionsweise der Marktwirtschaft.

     

    Möchte im Zusammenhang mit dem Transfer noch ergänzen, dass Cristiano Ronaldo sich bereits nach einem Jahr amortisiert hat, dank 1.2 Mio verkaufter Trikots mit seinem Namen.

     

    Real Madrid hat danach die Preise für die Schnäppchenjäger herabgesetzt, wohlwissend, dass die nächste Saison vor der Tür steht und die neue Kollektion auf den Markt kommt. Ronaldos Vertrag bei Real Madrid läuft immer noch.

     

    Zudem hatte sich Real einen Teil (50% soviel ich weiß) der Bildrechte gesichert, an jedem Foto des Superstars verdient der spanische Club obendrein, somit war der Kauf der Rechte an der Marke Christiano Ronaldo eine der besten Investition der Vereinsgeschichte und dieses Geschäft war ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg, und nicht etwa die Fußballmannschaft als Ganzes.

     

    P.S.: Delling wird für seine "Empörung" im Übrigen auch sehr gut bezahlt.

  • P
    Pino

    Sie hätten sich lieber Nokia kaufen sollen, kostet gerade mal das 54fache, und der Absatz der Real Madrid Smartphones hätte sich dadurch nicht nur verdreifacht sondern vertausendfacht. Dann wären alle zufrieden: delling, real, nokia, europa, die fans und vielleicht sogar die taz.

  • G
    Gast

    Intelligenter Beitrag. Natuerlich rechnen sich Mega-Transfers, naemlich in dem Moment, in dem ein Club das Finale oder Halbfinale der Champions-League erreicht. Ohne Ronaldo oder Ibrahimovic geht das nunmal nicht.