Kommentar Fußball-Transfersummen: Der Zirkus braucht halt Attraktionen
Darf ein spanischer Fußballverein in Zeiten der Eurokrise 100 Millionen Euro für einen Spieler ausgeben? Klar. Denn das Geld ist eine Investitionssumme.
G areth Bale wechselt für 100 Millionen Euro von Tottenham Hotspur zu Real Madrid. „Derartige Summen sind grundsätzlich indiskutabel und in Zeiten der Euro-Krise eine gesellschaftliche Provokation“, kommentiert Gerhard Delling in den Tagesthemen – und kommt natürlich nicht ohne die Hinweise auf die Unmoral, die Staatsschulden Spaniens und die hohe Jugendarbeitslosigkeit aus. Als hätte der Fußballklub Real Madrid mit dem Geld auch mal eben den Staatshaushalt sanieren und die jungen Leute von der Straße holen können.
Real ist ein Unternehmen. Wie kein anderer Verein ist der Klub der fußballgewordene Wanderzirkus. Im Sommer werden die Spieler auf Tournee geschickt. Die Zuschauer bezahlen fürs Zuschauen beim Training – in den USA genauso wie im fernen Asien oder auf der arabischen Halbinsel.
Geld wird auf allen Kontinenten verdient. Und um als Zirkus überall auf der Welt bekannt zu sein, bedarf es der größten Attraktionen. Allein die Aufregung, die nun ob dieser „indiskutablen“ und „provozierenden“ Ablöse herrscht, hilft Real, hilft der Marke, hilft dem Zirkus.
Aber da sind ja nicht nur die Moralisten, die den Transfer verdammen, sondern auch die vermeintlichen Fußballkenner, die jetzt vorrechnen, wie viele ähnlich begabte Profis sich Real für die 100 Millionen hätte kaufen können. Drei Mal hätten sie dafür Isco bekommen.
Isco? Das ist ein hochtalentierter spanischer Mittelfeldspieler, den Real in diesem Sommer aus Malaga geholt hat – für geschätzte 30 Millionen. Den kennt außerhalb der Stadien kaum einer. Bale kennt jetzt fast jeder. Die „Tagesthemen“ werden rund um den Globus nicht die einzige Nachrichtensendung gewesen sein, die den Transfer des Walisers kommentierten. Über Iscos Wechsel sprachen im Sommer nur Insider.
Verdreifachter Trikotverkauf
Dennoch vereint Bale und Isco ein wichtiges Vertragsdetail: Beide müssen von nun an die Hälfte ihrer Werbeeinnahmen an Real Madrid abdrücken. Bei wem wird die weltweite Vermarktung wohl besser gelingen? Als der unverschämt teure David Beckham 2003 für 37,5 Millionen aus Manchester kam, verdreifachte er den Trikotabsatz der Königlichen aus Madrid gleich in seiner ersten Saison.
Der Profifußball ist ein Geschäft. Real ist ein global aufgestelltes Unternehmen. Bale ist eine Investition. Sie könnte sich schneller rentieren als drei Iscos.
Übrigens: Real Madrid machte im vergangenen Jahr 32 Millionen Euro Gewinn – trotz der schwierigen Wirtschaftslage in Spanien. Warum? Weil die Firma global aufgestellt ist. Doch was dem deutschen Mittelstand hoch angerechnet wird, sorgt bei Gerhard Delling und Co. für Kopfschütteln, als dürfte sich ein krisengeplagtes Land wie Spanien ein Geschäftsmodell à la Real Madrid nicht erlauben
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