Kommentar Friedensnobelpreis: Freiheit - mehr als schöne Worte
Die Regierungen von kritisierten Staaten gehen unterschiedlich mit Kritik um. An den Beispielen USA und China wird deutlich, wie dabei der gedankliche Entwurf von "Freiheit" strapaziert wird.
V on 65 Botschaftern in Norwegen haben bisher 44 die Einladung angenommen, der Zeremonie zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo beizuwohnen. Der Rest hat abgesagt oder ist "verreist".
Nun ist es gewiss ein Kompliment, wenn Länder wie Kuba oder Russland einer Ehrung fernbleiben. Und man kann an der Liste der Verweigerer schön ablesen, wer es sich nicht mehr leisten kann oder will, China auf den Schlips zu treten. Dennoch sollten sich die aufrechten Verfechter der Menschenrechte und der freien Rede nicht zu sehr in die Brust werfen.
Im vergangenen Jahr wurde mit Barack Obama ein Präsident zum Friedensnobelpreisträger gekürt, dessen Regierung die Standards recht niedrig ansetzt. Klar ist dabei: China ist eine Parteidiktatur, die USA sind eine demokratisch verfasste Großmacht. Allerdings zeigen die Enthüllungen durch die Wikileaks-Dokumente einmal mehr, wie wenig sich die USA bei der Durchsetzung ihrer Interessen im Ausland um die Menschenrechte scheren.
REINER METZGER ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Im Falle von Wikileaks kommt ein Aspekt hinzu: Die Privatwirtschaft, die immer so viel Wert auf die Einhaltung von Verträgen und auf Staatsferne legt, versagt. Sie wehrt sich nicht gegen den Druck der Politik, Wikileaks den Garaus zu machen. Wikileaks-Sprecher Julian Assange ist kein Taliban, also kann man ihn nicht mit einer US-amerikanischen Drohne zum Schweigen bringen.
Dann springen eben Unternehmen ein: Die von Banken beherrschten Kreditkartenfirmen sperren den Zahlungsverkehr von Wikileaks, obwohl noch nicht mal ein Verfahren gegen die Organisation eröffnet, geschweige denn ein Urteil gefallen ist. Ebenso agieren die Internethändler Amazon und Ebay (über die Zahlungstochter Paypal) und einige andere. Wenn diese Firmen nur halb so schnell in die Gänge kämen, wenn es etwa um Konten von verurteilten Diktatoren geht, man hätte weniger Grund, sich aufzuregen.
Die konzertierte Aktion von Staaten und Wirtschaft macht die ganze Wikileaks-Affäre zu einer Nagelprobe für den Gedanken der Freiheit, im Internet und anderswo: Wer sich wirklich mit den Mächtigen anlegt, ist auch im Westen in Gefahr, nicht nur in China - und das darf nicht sein. Das chinesische Regime ändert sich nicht durch einen Friedensnobelpreis. Aber wir können verhindern, dass sich chinesische Gepflogenheiten auch bei uns breitmachen.
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