Kommentar Freilassung Peter Steudtner: Druck zeigt Wirkung
Die Freilassung des inhaftierten Menschenrechtlers Peter Steudtner und seines schwedischen Kollegen zeigt: Beim Geld ist Erdogan angreifbar.
E ndlich!, so möchte man laut rufen. Endlich mal wieder Bilder der Freude aus Istanbul statt immer nur neue Verzweiflung. Es tut gut, Bilder des Menschenrechtlers Peter Steudtner zu sehen, wie er nach seiner Freilassung Freunde und Bekannte vor dem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Silivri umarmt, müde, aber zutiefst erleichtert. Ein erster Lichtblick im alltäglichen Horror, der ansonsten zwischen Erdoğans Türkei und Deutschland herrscht?
Man darf in Steudtners Entlassung aus der U-Haft, denn mehr ist es nicht, aber auch nicht allzu viel hineininterpretieren. Der Prozess mit seinen absurden Vorwürfen geht ja weiter. Niemand ist bislang freigesprochen worden, nur dass Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi nicht in der Türkei bleiben müssen und sich den Fortgang des Prozesses im November aus sicherer Entfernung anschauen können.
Sie beide, solange sie nicht erneut in die Türkei fahren, sind de facto frei. Alle anderen angeklagten MenschenrechtlerInnen sind, bis auf den Amnesty-Vorsitzenden Taner Kilic, zwar auch aus der U-Haft entlassen worden, müssen aber im November wieder vor Gericht antreten.
Auch wenn die Freilassung von Steudtner ein kleiner positiver Schritt ist, eine Entspannung zwischen Erdoğans Türkei und Deutschland kann es erst geben, wenn sich diese Entwicklung nun auch bei Mesale Tolu, Deniz Yücel und den anderen acht deutschen politischen Gefangenen in der Türkei fortsetzt.
Zehntausend Türken sitzen außerdem seit dem versuchten Putsch vom Juli letzten Jahres oft unter ähnlich zweifelhaften Beschuldigungen in Haft, wie zuvor Peter Steudtner, darunter allein rund 160 JournalistInnen.
Die Bundesregierung darf gegenüber der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf keinen Fall gleich den ersten Hoffnungsschimmer zum Anlass nehmen, wieder zum business as usual zurückzukehren. Die Freilassung von Steudtner zeigt vielmehr: Druck zeigt Wirkung und mehr Druck wird mehr Wirkung erzeugen.
Die Achillesferse des Erdoğan-Regimes ist das Geld. Nach langem Zögern hat Merkel begonnen, diesen Hebel zu nutzen. Je wirkungsvoller es ihr gelingt, Erdoğan von internationalen Geldquellen abzuschneiden, umso größer sind die Chancen auf ein Einlenken in Ankara.
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