Kommentar Frauen an der Klagemauer: Ein Hauch von Feminismus
Die liberal-jüdischen Feministinnen wollen mehr Gleichberechtigung. Aber nicht nur beim Beten an der Klagemauer.
D ie Entscheidung der Regierung, Männer und Frauen gemeinsam an Jerusalems Klagemauer, der weltweit wichtigsten Stätte für die Juden, beten zu lassen, ist ein kleiner Sieg nur für jene, die den Kampf vorantrieben. Die liberal-jüdischen Feministinnen wollen mehr Gleichberechtigung, nicht nur an der Klagemauer sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ein hoch gestecktes Ziel, von dem sie weit entfernt sind. Denn die orthodoxen Frauen müssen sich unverändert auf nur einem Viertel der für die orthodoxen Juden vorgesehenen Fläche vor der alten Tempelruine drängeln.
Die Verheirateten unter den streng religiösen Frauen kommen zumeist mit geschorenem Kopf, den sie unter Tüchern oder einer Perücke verstecken. Und auf dem Heimweg bleiben sie in den Bussen, die in die Wohnviertel der Charedim, der „Gottesfürchtigen“, fahren, auf die hinteren Bänke verbannt. Sie wollen es nicht anders.
Die orthodoxen Frauen gehören selbst zu den schärfsten Kritikerinnen der liberalen Feministinnen. Beschimpfungen und Schlimmeres müssen sich die zumeist aus den USA eingewanderten Jüdinnen von ihren Geschlechtsgenossinnen gefallen lassen, wenn sie mit einer Kippa (Kopfbedeckung frommer Männer) bekleidet zum Gebet kommen oder gar eine Thorarolle bei sich tragen. Die Kluft zwischen den Strömungen im Judentum wird mit der jüngsten Regierungsentscheidung eher tiefer, als dass da etwas zusammenwächst.
Das Reformjudentum ist die Antithese zur Orthodoxie, die am Alten festhält und Veränderungen nur zulässt, wenn sie rückwärtsgewandt sind. Israels orthodoxes Establishment muss den kleinen Sieg der liberalen Konkurrenz nicht fürchten. Nur orthodoxe Rabbiner sind in Israel berechtigt, Konvertierungen zu begleiten, Ehen zu schließen und Scheidungen abzusegnen. Am Ende entscheidet die Mehrheit, und der Sektor der orthodoxen Juden wächst schneller als jeder andere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?