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Kommentar Frankreichs RechtsextremeFrühling der Reaktionäre

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Frankreichs „neue“ Rechte geht zu Zehntausenden gegen Homoehe und Abtreibung auf die Straße. Die Bewegung hat ihre Wurzeln im Faschismus.

Schwingt die Fahne der Republik für die erzkonservative Restauration: Teilnehmer der Pariser Demo gegen die sozialistische Familienpolitik. Bild: dpa

N un hat auch Frankreich seine „Tea Party“. Kein Wochenende vergeht ohne Demonstration dieser „neuen“ reaktionären Rechten. Sie protestieren gegen die Homoehe, gegen die Abtreibung oder wie am Sonntag gegen die angebliche „Familienfeindlichkeit“.

Sie kämpfen gegen Phantome in Form von angeblichen Regierungsplänen, die nicht einmal auf dem Papier existieren wie eine Legalisierung von „Leihmüttern“. Selbst vor der Manipulation mit absurden Gerüchten schrecken die rechtsextremen Kreise, die hinter dieser Bewegung stehen, nicht zurück.

Von einer „neuen“ Kraft zu reden, ist allerdings abwegig, denn die Zehntausenden, die da voller Wut und Frustration gegen die Regierung auf die Straße gehen, sind alles andere als fortschrittlich. Es sind die Ewiggestrigen, die das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen in eine (vermeintlich bessere) Vergangenheit, als vermeintlich noch Ordnung herrschte: Was Recht und Moral ist, das bestimmte die Kirche, und dass Frauen sich um Kinder und Küche kümmern, während die Männer das tägliche Brot verdienen, das war eine gottgegebene Rollenteilung.

Wer diese traditionellen Rollen infrage stellt, ist für diese Leute ein Verfechter einer (nur in ihren Köpfen existierenden) „Gender-Theorie“, welche die biologischen Geschlechtsunterschiede leugnen wolle.

Hass auf die weltliche Republik

Es wäre schön, wenn man dies als böswillige Karikatur abtun könnte. Nur geben diese Ultrakonservativen, die seit 2012 in Frankreich gegen jede progressive Gesellschaftsreform und nur schon die eventuelle Absicht einer Diskussion über alte Zöpfe erbitterten Widerstand leisten, keinen Grund zu irgend einer Nachsicht. Was diese oberflächlich betrachtet sehr heterogene Bewegung eint, ist der Hass auf die weltliche Republik mit ihren Werten der Gleichheit und des Prinzips der Trennung von Staat und Religion.

Unter den Organisatoren dieser Bewegung sind Organisationen wie die „Action française“ oder „Civitas“, die ihre ideologischen Wurzeln im Faschismus der Dreißigerjahre haben. Dass diese rechtsradikalen und religiös-integristischen Kreise jetzt eine neue Generation von Aktivisten politisieren und rekrutieren kann, ist erschreckend. Seit Monaten dominieren sie die Politik auf der Straße und die Debatte. Wo bleibt die Reaktion der republikanischen Linken auf dieses bedrohliche Wiedererwachen des reaktionären Ancien Régime?

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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23 Kommentare

 / 
  • S
    Sören

    Die Quantität der Demonstrationen finde ich nicht bedenklich. In Frankreich geht man viel eher auf die Straße als etwa in Deutschland. In den 80ern hat das Bürgertum große Demonstrationen gegen Präsident Mitterand auf die Straße gebracht; er wurde trotzdem wiedergewählt.

     

    Bedenlich ist in der Tat, dass in allen westlichen Gesellschaften ein bestimmter Anteil der Menschen von den gesellschaftlichen Veränderungen (der letzten Jahrzehnte) überfordert ist, und den Anschluss verliert. Diese Teile stecken auf entsetzliche Weise in der Vergangenheit fest, und werden auch zunehmend verzweifelt-aggressiv.

     

    Frankreich kommt mit der Globalisierung und ihren Folgen schlecht zurecht, und steckt seine Jahren in der Krise. Sich jetzt Sündenböcke zu suchen - Homosexuelle, Frauen, "Linke" - ist nicht ungewöhnlich, aber trotzdem sehr bedenklich. Das links-progressive Lager muss eine mutige und positive Agenda der Hoffnung gegen diesen Hass setzen.

     

    Beim gender-mainstreaming geht es darum, dass jeder sein Leben frei von gesellschaftlich produzierten Rollenbildern leben kann. Ein junger Mann soll, wenn er will, Erzieher werden können ohne als schwul verspottet zu werden. Eine junge Frau soll Automechanikerin werden können, ohne deswegen als Mannweib hingestellt zu werden. Dies sollte jedem einleuchten.

  • Y
    Yadgar

    @Seltsam...

    "Die Gender-Theorie existiert also nur in den Köpfen der 'Rechten'? Ist nicht Gender-Mainstreaming seit den 90gern offizielle Politik der Bundesregierung?"

     

    Die Gender-Theorie gibt es. Gender Mainstreaming gibt es auch, und es ist tatsächlich offizielle Politik (übrigens sogar in so erzpatriarchalen Ländern wie dem Iran!).

     

    Nur: Gender Mainstreaming hat mit der dekonstruktivistischen Gendertheorie einer Judith Butler gerade mal den Namen "Gender" gemein - und sonst gar nichts. Ist doch auch logisch: wenn ich mich für geschlechtergerechtes Handeln in Politik, Verwaltung und Wirtschaft (= Gender Mainstreaming) einsetze, kann ich nicht gleichzeitig die Existenz von Unterschieden zwischen den Geschlechtern oder gar die Existenz von Geschlechtern überhaupt leugnen (wie es die Anhänger der Gender Theory tun)!

     

    Hier mal ein Artikel zum Abkühlen der Gemüter, erschienen auf "Confessio", einer Webseite der Evangelischen Kirche in Sachsen, die sicherlich nicht radikalfeministischer Umtriebe verdächtig ist: http://www.confessio.de/cms/website.php?id=/religionheute/zeitgeist/natur_oder_kultur.html

    • C
      cosmopol
      @Yadgar:

      Ach Gottchen, der Artikel schafft es Gender Mainstreaming (so als CDU-Position) von der Queer Theory abzugrenzen.

      Witzig wird er halt dann da, wo er dann versucht Butler und Haraway (aka "der ideologische Feminismus" der so schlimme Dinge will wie ein "Recht auf Abtreibung") mit ein paar Floskeln und Verkürzungen zusammenzufalten. So wird Butler Wirklichkeitsferne und Abgehobenheit unterstellt, aber auf der Sachebene nichts entgegengesetzt. Entweder hat der gute Harald selber nichts kapiert, oder er scheut die Auseinandersetzung.

      Die ist nämlich 'nen Tacken komplexer als er gerne hätte.

      http://www.hinterland-magazin.de/pdf/16-48.pdf

  • G
    Gast1

    Gegen Homoehe und Abtreibung, ich dachte schon jetzt kommt ein Beitrag über die katholische Kirche. Aber nein, solche Einstellungen, die noch vor wenigen Jahrzehnten gesellschaftlicher Konsens waren, gelten jetzt als rechtsextrem und faschistisch.

    Werden jetzt auch die Regierungen Adenauer und Nachfolger als Faschisten beschimpft, da ja in jener Zeit der §175 galt?

    • @Gast1:

      Über das braune Erbe der Adenauer-Zeit wissen wir doch inzwischen nun wirklich schon einiges um zu wissen, dass von einer konsequenten, unmittelbaren Loslösung von der Nazizeit keine Rede sein kann.

       

      Das war ein langsamer und mühsamer Prozess, der gewisse Gesellschafts- und Themenbereiche erst nach und nach erfasst hat. Die "Sexualmoral" und das Bild der "gesellschaftlich produktiven Familie" sind tatsächlich erst sehr gemächlich überwunden worden. Wenn davon heute noch Reste spürbar sind, ist es alles andere als abwegig, solche Bezüge zum Faschismus herzustellen.

    • C
      cosmopol
      @Gast1:

      Im Artikel ist die Rede von der neuen Rechten, nouvelle droite. Diese geht zurück auf die Schriften eines faschistischen Thinktanks (grece) und mischt diese Ideologie mit der "konservativen Revolution" der deutschen 20er, dem Strasser-Flügel der NSDAP und Leuten wie dem ollen Feudalismus-Fan Evola die sogar Mussolini zu durchgeknallt waren.

      Es ist also vollkommen berechtigt diesbezüglich von Faschismus zu sprechen.

  • S
    Seltsam...

    Zitat: 'Wer diese traditionellen Rollen infrage stellt, ist für diese Leute ein Verfechter einer (nur in ihren Köpfen existierenden) „Gender-Theorie“, welche die biologischen Geschlechtsunterschiede leugnen wolle. ' Zitatende. Die Gender-Theorie existiert also nur in den Köpfen der 'Rechten'? Ist nicht Gender-Mainstreaming seit den 90gern offizielle Politik der Bundesregierung?

  • Andersdenkende so zu diffamieren und ab zu werten, hat ebenfalls eine lange Tradition.

    Beide Geisteshaltungen haben den Faschismus ermöglicht, sie wurzeln aber nicht darin sondern sind noch viel älter. Politische Korrektheit ist die moderne Form der Intoleranz, da sie jeder Diskussion die Basis entzieht, alternativlos.

    • C
      cosmopol
      @Thomas Fluhr:

      Wenn mensch den rechten Kampfbegriff "politische Korrektheit" denn annehmen möchte, müsste festgestellt werden das diese keineswegs eine Form von Intoleranz darstellt. Es sei denn, mensch bezeichnet die Abwehr von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung wiederum als Intoleranz. Wäre aber ne doppelte Verneinung. Schade, offensichtlich ist der Rechten damit ein kleiner publicity gag gelungen.

    • D
      Dizzle
      @Thomas Fluhr:

      Es geht hier nicht um Diffamierung oder das Beschneiden von Meinungsfreiheit. Hier geht es darum, die dargelegte Kritik altbackener rechter Positionen aufzuzeigen und zu verdeutlichen, welches Ausmaß diese Gedanken einnehmen. Danke für den Artikel!

    • AH
      aber hallo!
      @Thomas Fluhr:

      Da irren Sie, Demagogie umfassend abzulehnen ist faktisch notwending und objektiv richtig. Es ist so wenig demagogisch wie der Hinweis, dass 2+2=4 ist.

       

      Problematisch ist nicht eine vermeintliche Intoleranz in progressiven Kreisen, sondern die Verwirrung in ihrem Kopf zwischen ueber was sinnvol und was gaenzlich abwegis ist. Raumen Sie dort auf befor Sie abwegig kommentieren.

  • L
    Leibowitz

    Die Bewegung, die sie als reaktionär und im Faschismus verwurzelt bezeichnen, als französische "tea-party" diffamieren, steht für eine neue (alte) politische Ausrichtung in Eruopa.

    Die heute noch über diese "Reaktionäre" lachen, werden später nicht mehr lachen.

    • C
      cosmopol
      @Leibowitz:

      Uh, eine böse Drohung. Tja, sieht mensch doch welch Geistes Kind hier spricht.

    • Z
      ztiwobiel
      @Leibowitz:

      Ist diese Hitleranspielung bewusst gemacht worden?

  • PP
    Petra P.

    man muss sich das erst einmal überhaupt vorstellen können: die taz, die nicht einmal eine ordnetliche einordnung der weltkriege, deren ursprünge sowie deren hauptschuldige hinbekommt will wissen, was französiche menschen über ihre tradition denken sollen.

     

    setzen sechs, und für mich bitte einen tee

    • S
      Supersoaker
      @Petra P.:

      Dann erklären Sie uns doch mal, wer die Hauptschuldigen der Weltkriege sind? Ich bin gespannt, wie Ihre Einschätzung vom Geschichtsbild der taz abweicht.

  • AH
    A. Hordt

    Interessanter Bericht, unzutreffende Analyse: Reaktion, Faschismus, neue Rechte sind - ironischerweise - genuine Modernisierungsphänomene, das waren auch schon die faschistischen Bewegungen nach dem I. Weltkrieg. Deshalb reicht es - leider - nicht aus die Rückwärtsgewandheit dieser Leute zu beklagen und entschiedene Gegenstandpunkte von 'fortschrittlichen' Kräften in der Gesellschaft zu verlangen.

    • C
      cosmopol
      @A. Hordt:

      Und genau das ist jetzt der Moment, in dem du den Königsweg präsentierst... na?

      • AH
        A. Hordt
        @cosmopol:

        @Cosmopol Das wäre nicht meine Art. Allerdings stellt sich die Frage nach gesellschaftspolitischen Alternativen, die keine Königswege sein können, auf eine andere, wie ich finde realistischere, Art, wenn man sich von einem - vereinfachend gesprochen - linken Fortschrittsparadigma verabschiedet. Dann könnte man, das ist natürlich nur eine Vermutung, eben anders mit Menschen sprechen, die subjektiv meinen, gegen eine plurale Gesellschaft sein zu müssen. Das ist alles, leider kein Königsweg in Sicht.

  • O
    ostwest

    "wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht". Ich denke, nach diesem grundsatz gegen die eurokritischen Parteien in ganz Europa gegen den Staat auf die Barrikaden.

    • C
      cosmopol
      @ostwest:

      Nur, das deren Definitionen von Recht und Unrecht ziemlich durch sind. Wer anderen Leuten an den Uterus oder die Liebe verbieten will leistet keinen "Widerstand" sondern hat sie schlicht nicht mehr alle.

  • K
    Kaboom

    Ebenso wie bei der Tea-Party geht es real darum, den Ärger dieser Leute "richtig" (im Sinne der Mächtigen) zu kanalisieren. solange sie sich mit der Homoehe, Leihmüttern und ähnlich "relevanten" Themen beschäftigen, werden "Nebensächlichkeiten" keine Rolle spielen.

     

    Das ist hierzulande bei der AfD nicht anders. Solange sich die Leute über den "Teuro", den Rettungsschirm oder Eurobonds aufregen, fragen sie nicht, warum in Deutschland - trotz angeblich boomender Wirtschaft - die Reallöhne in 2013 mal wieder gesunken sind.

  • B
    Brett

    Das erinnert fatal an Weimarer Republik und spiegelt vermutlich auch die hohe Arbeitslosigkeit. Es könnte sich ferner um Vorbereitung auf die Europawahl im Mai handeln - das Parlament dürfte Ende Mai völlig anders aussehen als bislang. Bei sinkender Wahlbeteiligung werden alle möglichen Europakritischen Parteien "überraschend" gut abschneiden (siehe auch Griechenland, Italien, England, Niederlande, in D AfD und so weiter).