Kommentar Flüchtlingszahlen: Perspektiven statt Panikmache

Für viele gibt es weiter nichts Dringenderes, als die Zahl der Flüchtlinge zu senken. Dabei ist die Frage wichtiger, was mit denen geschieht, die da sind.

Ein von hinten fotografierter Flüchtling sitzt in einem Unterkunftszelt auf seinem Bett

Heute werden zwei Drittel aller Flüchtlinge anerkannt Foto: dpa

Wervon der Fremdenfeindlichkeit lebt, lässt auch jetzt keine Gelegenheit aus, um in Sachen Asyl den Teufel an die Wand zu malen. Mit der Realität hat diese Panikmache heute nichts mehr zu tun. Die Zahl der Ankünfte in Deutschland ist stark zurückgegangen, die Aufnahme funktioniert. Trotzdem reden viele weiter so, als gäbe es nichts Wichtigeres, als die Zahl der Flüchtlinge weiter zu senken. Im Kampf mit der AfD scheint die CSU wild entschlossen, die Obergrenze zum Kern ihrer Wahlkampagne zu machen.

Viel wichtiger aber ist die Frage, was mit denen, die da sind, geschehen soll.

Früher wurden die meisten Flüchtlinge in Deutschland abgelehnt, die anderen mussten selbst zusehen, wie sie zurechtkamen. Heute werden zwei Drittel aller Flüchtlinge anerkannt, denn sie kommen aus Ländern, in die es für sie bis auf Weiteres kein Zurück gibt. Und seit 2015 ist die Zahl der Projekte, die Flüchtlingen beim Weg auf den Arbeitsmarkt helfen sollen, geradezu explodiert.

Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände haben Ausbildungspartnerschaften gegründet, Handels- und Handwerkskammern widmen sich dem Thema intensiv. Die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen wird heute unterstützt, ein großes Netzwerk von Beratungsstellen ist entstanden.

Die Arbeitsagentur beginnt teils schon während des Asylverfahrens, Flüchtlinge auf den Jobeinstieg vorzubereiten. Und kürzlich legte sie das sinnvolle Modell des „Integrationsjahrs“ auf: Lohnzuschüsse gegen berufsbegleitende Nachqualifizierung. Nicht alle Flüchtlinge dürfen diese Angebote in Anspruch nehmen. Trotzdem: Die bleierne Passivität früherer Jahre gibt es nicht mehr.

Vielen scheint daran gelegen, die Erfolge kleinzureden. Kürzlich wurde vermeldet, dass im letzten Jahr 34.000 „Einwanderer aus den acht wichtigsten nichteuropäischen Asylherkunftsländern“ eine Arbeit fanden. Sofort hieß es: viel zu wenig, bei einer Million Angekommenen. Die Bemühungen um die selbstständige Existenzsicherung der Flüchtlinge aber sind keineswegs gescheitert. Die meisten Angekommenen haben das Asylverfahren noch nicht einmal durchlaufen.

Man muss sich keine Illusionen machen – sie werden niemals vollständig vom Arbeitsmarkt aufgenommen. In der Vergangenheit dauerte es fünf Jahre, bis die Hälfte aller Flüchtlinge einen Job fand. Das zu verkürzen muss heute auf der Agenda ganz oben stehen. Statt im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb „Bundesausreisezentren“ und „Abschiebe-Taskforces“ aufzuziehen, sollte weiter Geld in Sprachkurse und Nachqualifizierung fließen. Das Signal an die Menschen muss sein: Ihr habt hier eine Perspektive.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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