Kommentar Flüchtlingsprotest: Höchststrafe im Idyll
Die Verhältnisse im Flüchtlingsheim von Meinersen scheinen skandalös zu sein. Ein Skandal ist aber schon die Sache selbst: dass Menschen an solchen Orten kaserniert werden.
D ie Verhältnisse im Flüchtlingsheim Meinersen scheinen skandalös zu sein. Ein Skandal, auch wenn wir uns langsam daran gewöhnen, ist allerdings schon die Sache selbst: ein Flüchtlingsheim in Meinersen.
Meinersen ist klein - so klein, dass man nicht über die Straße laufen kann, ohne zu grüßen. Ringsum breiten sich Wiesen und Wald, und durchs Städtchen selbst fließt die Ocker, vorbei an einer alten Mühle, vorbei auch an einem Künstlerhaus, in dem begabte Stipendiaten aus dem In- und Ausland in ländlicher Abgeschiedenheit ein Jahr lang werkeln und pinseln können.
Meinersen: Das ist ein Ort, aber zwei Welten, die sich spiegelbildlich zueinander verhalten: die Welt der Künstler und die Welt der Flüchtlinge. Der eine soll sich selbst entfalten, der andere wird radikal beschränkt. Dem einen wird Tätigsein ermöglicht, dem anderen totale Untätigkeit aufgezwungen. Dem einen ist das Land ringsum eine poetische Weite, die ihn inspiriert, dem anderen ist sie eine Mauer, an der sich seine Augen stumpf sehen. Meinersen ist für den Künstler ein Idyll. Für den Flüchtling ist Meinersen eine Höchststrafe - die Fortsetzung des Krisengebiets, dem er einst entfloh, mit anderen Mitteln. Das Schlimme aber ist: Meinersen ist überall.
Es gibt keinen Grund, Künstler anders zu behandeln als Flüchtlinge. Meinersen gehört abgeschafft.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!