Asylbewerber: Isoliert und zur Untätigkeit verdammt
In dem Dorf Meinersen bei Gifhorn leben 75 Flüchtlinge auf engstem Raum und ohne Perspektive. Die grüne Landtagsabgeordnete Polat verlangt eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen. Diese sei überdies billiger.
Durch die Fußgängerzone durften sie nicht marschieren; ein Wochenmarkt war wichtiger. Vor das Gebäude des Landkreises Gifhorn, gegen den sich ihre Proteste richten, durften die Flüchtlinge am Samstag auch nicht ziehen; dort feierte die Sparkasse ein Straßenfest. Also machten sie ihre Abschlusskundgebung am Rande der Innenstadt, zwischen der Rückseite eines Supermarktes und einem kleinen Park. Mit rund 150 UnterstützerInnen protestierten rund 40 geduldete Flüchtlinge gegen ihre Unterbringung weit draußen auf dem Land, in einer Gemeinschaftsunterkunft in Meinersen, 17 Kilometer westlich von Gifhorn.
"Wir leben auf engstem Raum, es gibt kein Privatleben, Arbeitsverbote, keine ausreichende medizinische Versorgung und Anwesenheitskontrollen. Viele von uns werden krank angesichts dieser Zustände", sagt ein Sprecher der Flüchtlinge. 75 Menschen leben dort, einige seit über zehn Jahren. Vor einem Monat protestierten sie zum ersten Mal. Sie schrieben eine Mängelliste. Nun hoffen sie, dass der Kreis auf ihre Forderungen eingeht.
Doch der will das von der "K & S Dr. Krantz Sozialbau und Betreuung" aus Sottrum nahe Bremen betriebene Heim keinesfalls schließen. "Die Unterkunft ist in Ordnung", sagt Michael Funke, der beim Landkreis für Ausländerfragen zuständig ist. "Wir haben mit den Bewohnern umfangreiche Gespräche geführt und sind die Mängelliste mit ihnen durchgegangen", versichert er. "Was wir machen konnten, haben wir geändert." Das Gesundheitsamt habe die Küche und die Nasszellen begutachtet. Es habe die Hygiene nicht beanstandet.
Doch was die Flüchtlinge meinen, wenn sie von "krank werden" sprechen, sind weniger die baulichen Probleme wie dünne Wände oder kaputte Fenster. Was ihnen zu schaffen macht, ist die Kombination aus Enge, Isolation, verordneter Untätigkeit und der Angst, am Ende doch abgeschoben zu werden.
Der 28-jährige Armenier Hamza Islo etwa lebt seit 2008 mit seiner Frau Xazal und drei kleinen Kindern in einem einzigen Raum von etwa 25 Quadratmetern. Ein Tisch, ein Ecksofa, das die Familie nachts auszieht, ein Fernseher, einige Regale, ein Kinderbett. Vorher waren sie jahrelang anderswo unter ähnlichen Bedingungen untergebracht. Arbeiten darf Islo nicht. Die beiden Erwachsenen leben von Lebensmittelgutscheinen in Höhe von 134 Euro im Monat, die Kinder erhalten je nach Alter einiges weniger.
"Hier gilt eben das Sachleistungsprinzip", sagt Landkreissprecher Funke. "Die Flüchtlinge sind ausreisepflichtig, können aber nicht abgeschoben werden." In solchen Fällen sehe das Asylbewerberleistungsgesetz stark verringerte Bezüge vor.
Wie viele seiner Nachbarn haben die Lebensumstände Hamza Islo psychisch und physisch stark angegriffen. Ein sozialpsychiatrisches Behandlungszentrum der AWO hat ihm vier Sorten Psychopharmaka zur mehrmals täglichen Einnahme verschrieben. Zudem muss er Medikamente wegen eines Magengeschwürs nehmen. "Den ganzen Tag hier zu hocken, das hält doch keiner aus", sagt Islo.
Nicht alle Bewohner beteiligten sich am Samstag an der Demo. - Die Ausländerbehörde habe sie bedroht, berichten sie. "Man hat uns gesagt, dass man uns das Taschengeld kürzt und die Duldungen nicht verlängert", behauptet eine junge Frau. Anderen sei mit der sofortigen Abschiebung gedroht worden.
Die grüne niedersächsische Landtagsabgeordnete Filiz Polat nannte die Forderungen der Flüchtlinge "absolut berechtigt". Sie hatte im Juni einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der vorsieht, Asylbewerber dezentral in Wohnungen unterzubringen. "Wie die Flüchtlinge da wohnen müssen, ist aus humanitären Gründen nicht vertretbar", sagt sie mit Blick auf Meinersen. Hinzu komme das Kostenargument: "Die Heime sind extrem teuer."
Der Landkreis Gifhorn wollte am Freitag "weder bestätigen noch dementieren", dass die Unterbringung im Heim in Meinersen deutlich teurer ist als die Hartz-IV-Mietsätze. "Das ist eigentlich ein Fall für den Landesrechnungshof", findet die Abgeordnete Polat.
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