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Kommentar Flüchtlingsgipfel in BerlinPropaganda im Kanzleramt

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Deutschen sind nicht so fremdenfeindlich, wie die hohe Politik glaubt. Es ist Zeit, das Asylbewerberleistungsgesetz zu kippen.

Notunterkunft für Flüchtlinge in Bruchsal, Baden-Württemberg Bild: dpa

G ipfel im Kanzleramt – das klingt, als würde etwas als Chefsache angepackt, alle Beteiligten an einen Tisch geholt, um dann zackig Entscheidungen treffen zu können. Und genau das wäre in Sachen Asyl nötig: In Berlin und Bayern stehen Flüchtlinge vor verschlossenen Aufnahmeeinrichtungen oder müssen auf der Straße wohnen, in Nordrhein-Westfalen werden sie von Wärtern privater Sicherheitsdienste misshandelt. Und fast überall haben die Kommunen große Schwierigkeiten, zumutbaren Wohnraum zu finden – zu groß ist der Anteil der Kosten, den sie tragen müssen.

Doch leider war der vom Kanzleramt veranstaltete Flüchtlingsgipfel das genaue Gegenteil: Weder wurden alle Beteiligten an einen Tisch geholt – Kommunen und Flüchtlingsorganisationen durften nicht kommen – noch gab es eine Entscheidung. Wie auch? Es fehlte ja ein Angebot, das der Bund den Ländern gemacht hätte, um sie endlich bei der Versorgung der Flüchtlinge zu entlasten. Es war eine Propagandaveranstaltung, die den Eindruck politischer Tätigkeit erwecken sollte.

Die Länder waren bescheiden an die Sache herangegangen. Ihr Vorschlag lautete: Bis zum dritten Monat des Asylverfahrens zahlen sie – beziehungsweise die Kommunen –, danach der Bund. Der zahlt bislang nämlich gar nichts, obwohl er von allen öffentlichen Haushalten am besten dasteht. Faktisch wäre der Vorschlag auf eine Fifty-fifty-Lösung hinausgelaufen: Im Moment dauern Asylverfahren im Durchschnitt sieben Monate.

Der Bund hat stattdessen angekündigt, 350 neue Asyl-Entscheider einzustellen. Das sind nicht wenige, wird den Kommunen aber erst mal nicht viel helfen: 140.000 offene Anträge werden nur langsam abschmelzen – zu viele neue werden in diesen Monaten gestellt, zu lange wird es dauern, die neuen Entscheider zu schulen.

Die Kopplung der finanziellen Zuständigkeit an die Geschwindigkeit des Asylverfahrens dürfte die Fairness gegenüber Flüchtlingen allerdings nicht gerade fördern – frei nach der Losung: Sparen durch schnellere Abschiebung. Einige Länder wollten weitergehen und das Asylbewerberleistungsgesetz komplett streichen, statt es bloß kosmetisch zu reformieren, wie der Bund es will.

Kosten für Kommunen und Länder

Kippt das Gesetz, müsste der Bund die regulären Sozialleistungen komplett zahlen, Kommunen und Länder könnten sich dann die Kosten für die Unterbringung teilen. Aber dabei machen vor allem die CDU-Länder und der Bund nicht mit. Sie halten an dem Gesetz fest, dass die soziale Schlechterstellung der Flüchtlinge seit 1993 festschreibt – und die Kosten den Kommunen und Ländern aufdrückt.

Begründet wird dies in der Regel nicht mit fehlendem Geld, sondern mit höheren Zielen: Wenn die Asylbewerber zu viel kosten, so heißt es gern, schmälere das die Akzeptanz des Asylschutzes insgesamt. So wurde unter anderem gerechtfertigt, dass Flüchtlinge mit gut der Hälfte des Existenzminimums in Deutschland leben mussten – bis dies 2012 schließlich als verfassungswidrig verboten wurde.

Heute aber kommen mehr Flüchtlinge als je zuvor in den letzten 20 Jahren, und sie sind noch immer bei der medizinischen und sozialen Versorgung diskriminiert. Gleichzeitig ist die Stimmung in der Bevölkerung keineswegs besonders fremdenfeindlich – im Gegenteil. Die unseligen „Nein zum Heim“-Initiativen von Neonazis und Aktivbürgern, bleiben bislang eine Ausnahmeerscheinung. Das Argument, man müsse rassistische Aufwallungen durch restriktive, „unattraktive“ Versorgung verhüten, hat sich an der Wirklichkeit blamiert.

Es gibt keinen Grund, an der Ungleichbehandlung festzuhalten. Dies durchzusetzen – und so ihre Kosten zu drücken –, hätten die rot und grün regierten Länder in der Hand: Dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz können sie demnächst im Bundesrat die Zustimmung verweigern. Dann könnten sie sich die Teilnahme an Showveranstaltungen im Kanzleramt sparen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Heute aber kommen mehr Flüchtlinge als je zuvor in den letzten 20 Jahren, und sie sind noch immer bei der medizinischen und sozialen Versorgung diskriminiert. Gleichzeitig ist die Stimmung in der Bevölkerung keineswegs besonders fremdenfeindlich – im Gegenteil."

     

    Das stimmt voll und ganz!

     

    Menschen werden sehr oft dann diskriminiert, wenn es um Geld geht. Die Ursache für Diskriminierung liegt somit meist im Kapitalismus.

     

    Deswegen fühlen sich viele Menschen in Berlin den Flüchtlingen verbunden. Sie haben oft dieselben Probleme, wie die Flüchtlinge.

    Durch den Flüchtlingsprotest am Oranienplatz und die damit verbundene dauerhafte deutschlandweite Berichtserstattung wurde uns auf einige großen Probleme Berlins und auch unserer ganzen Gesellschaft indirekt hingewiesen:

     

    - Steigende Mieten, soziale Verdrängung und Obdachlosigkeit,

     

    - Arbeitslosigkeit und niedrige Lohne,

    - Rassismus, Ungleichbehandlung sowie jede andere Form der Diskriminierung.

     

    Es darf aber niemals in unserem Land dazu kommen – egal ob per Gesetz oder in der Wirklichkeit – dass ein Menschenleben mit dem Geld gemessen wird!

  • Der Bund hat stattdessen angekündigt, 350 neue Asyl-Entscheider einzustellen.

     

    Es wäre besser, nicht den Bearbeitungsprozess bzw. Abschiebepraxis zu beschleunigen, sondern den wahren Ursachen auf den Grund gehen, warum immer mehr Menschen flüchten müssen. Zum einen wäre das die Verfolgung der Christen durch IS-Milizen. Zum anderen ist auch die Verfolgung von Kindern und insbesondere Frauen in Afghanistan und Pakistan, die z.B. in der Schule lernen wollen, bekannt. Es gibt viele andere Beispiele der Ungerechtigkeit auf dieser Welt.

     

    http://www.berliner-zeitung.de/politik/friedensnobelpreis-die-kinderbefreier,10808018,28704334.html

     

    Hat man die Länder identifiziert, wo Menschen diskriminiert, verfolgt oder gar getötet werden, so muss man einen starken außenpolitischen Druck auf die betreffenden Länder ausüben.

     

    Bevor jedoch die Politiker tätig werden, braucht es einer starken Wirkung durch die Medien auf die Gesellschaft, wie im Falle der IS-Milizen.

     

    Somit sind es die Journalisten, die Vieles in der Welt verändern und verbessern können.

  • Insgesamt 780 Millionen Euro erhält Deutschland von der EU zurück. Mit einem Teibetrag davon könnte man die Wohnungsnot bei Flüchtlingen verbessern. Dafür müssen aber die Länder mit dem Bund verhandeln.

     

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/unverhoffter-geldsegen-deutschland-erhaelt-millionen-von-der-eu-zurueck-13227432.html

  • OK! Wenn ihr keine Ungleichbehandlung wollt, dann gebt doch auch den Facharbeitern, an Geld, was ihr an Diäten bekommt.

  • "Gleichzeitig ist die Stimmung in der Bevölkerung keineswegs besonders fremdenfeindlich – im Gegenteil. Die unseligen „Nein zum Heim“-Initiativen von Neonazis und Aktivbürgern, bleiben bislang eine Ausnahmeerscheinung."

     

    Also als hier vor einiger Zeit in der Nähe der Misshandlungsfall war, kam bald schnell ans Tageslicht, dass einige der Opfer etwa einen Juwelier ausgeraubt haben. Was ich von da an nur noch hörte war, dass man dieses Pack nicht mehr hier haben will und dass man solche Leute gleich wieder dorthin schicken sollte, wo sie herkommen. Würde man öffentlichkeitswirksam verstärkt gegen dadurch entstehende Kriminalität vorgehen (Überfälle, Drogenverkauf (und ja, das macht nur eine Minderheit, die fällt aber am stärksten auf)), könnte man das Flüchtlingsimage wesentlich besser aufpolieren und die Akzeptanz stärken.

  • Da geht´s doch gar nicht um Sachfragen. Bund wie Länder haben Kohle genug, wenn man sie mal aus Schwachsinnsprojekten im Stile Elbphilharmonie, S21 oder BER abzieht und den Banken ihre Casinoverluste nicht mehr bezahlt. Ob Auslandseinsätze Bundeswehr oder ZwangsKITAisierung der Gesellschaft: Überall werden Milliarden für sinnlosen Quatsch verpulvert. Also am Geld fehlt´s nicht, sondern am politischen Willen. Die Bedingungen in den Lagern werden doch bewußt auf so einem unzumutbaren Stand gehalten, um weitere Flüchtlinge abzuschrecken, so sieht´s aus! Passives Pogrom nenn ich das künftig.

     

    "Die Deutschen sind nicht so fremdenfeindlich, wie die hohe Politik glaubt. Es ist Zeit, das Asylbewerberleistungsgesetz zu kippen." Unabhängig davon, wie fremdenfeindlich der Deutsche jetzt wirklich ist: Flüchtlinge sind Menschen in Not und da gibt es nur eine plausible Handlungsoption: Helfen, helfen, helfen!

     

    Eine Schande ist das.

    • @Dudel Karl:

      Ich hätte das ein oder andere nicht so formuliert, aber inhaltlich schließe ich mich im Grunde an!