Kommentar Flüchtlingselend auf Lesbos: Ohne Zwang keine Humanität
Griechenland tritt die elementarsten Rechte von Flüchtlingen mit Füßen. Dafür verantwortlich sind jedoch die großen EU-Staaten mit ihrer Flüchtlingspolitik.
E s ist die hässliche Kehrseite der europäischen Einigung. Die großen EU-Mitglieder üben kontinuierlich Druck auf die Mittelmeerländer aus, damit diese die Flüchtlingsströme auf ihrem Weg nach Norden abwehren. Die Folgen sind bekannt: Über 10.000 Menschen ertranken bisher auf ihrem Weg von Afrika und Asien nach Europa. Und für die, denen der Weg über das Wasser glückt, geht die Tortur oft weiter.
Griechenland tritt die elementarsten Rechte von Flüchtlingen mit Füßen. Minderjährige, Schwangere und Kranke werden regelmäßig und oft monatelang unter katastrophalen Bedingungen inhaftiert. Das Land hat sich rechtsfreie Räume geschaffen und verletzt systematisch die Genfer Konvention und die UN-Kinderrechtskonvention.
Doch migrationspolitisch ist Griechenland nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Es ist Opfer der zunehmend erfolgreichen Grenzaufrüstung vor den Kanarischen Inseln, im westlichen und im zentralen Mittelmeer, die die Flüchtlingsströme in die Ägäis umlenkt. Und es ist Opfer der großen EU-Staaten, die sich mit der Drittstaatenregelung, der Eurodac-Datenbank und dem Dublin-II-Abkommen ein Instrumentarium geschaffen haben, um Flüchtlinge wieder an die südlichen Einfallstore Europas zurückzuschaffen oder gleich dort zu halten. Griechenland wird das Problem buchstäblich vor die Füße geworfen.
Allein auf Lesbos sind letztes Jahr 40-mal so viele minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge angekommen wie in Deutschland. Die Ursachen für den menschenverachtenden Umgang mit ihnen liegen vor allem in Brüssel, Paris und Berlin. Und solange die dortigen Regierungen nicht gezwungen werden, ihrer Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nachzukommen, wird sich an der humanitären Katastrophe an Europas Außengrenzen nichts ändern.
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