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Kommentar FlüchtlingeAusflug in den Populismus

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Auch Taschengeldkürzungen werden Menschen nicht davon abhalten, zu uns zu kommen. Der westliche Balkan braucht so etwas wie einen EU-Marshallplan.

Die Taschengeldkürzungen wird sie nicht zurückhalten. Foto: dpa

E s ist ein heißer asylpolitischer Sommer. Die Zahl der Menschen, die vom Balkan oder über das Mittelmeer kommend bei uns Zuflucht suchen, will nicht abnehmen, und die Zahl der gewalttätigen Übergriffe gegen Asylunterkünfte nimmt zu. Und was macht der Innenminister in dieser brenzligen Situation? Er verspricht, er werde sich das karge Taschengeld, das Flüchtlinge bei uns erhalten, „genauer anschauen“. Soll ja keiner glauben, er könne sich in Deutschland auf Staatskosten ein schönes Leben machen.

Die Flüchtlingsfeinde können sich bestätigt fühlen, wenn sogar der Innenminister suggeriert, Flüchtlinge würden hierzulande unberechtigt in Saus und Braus leben. Das ist verantwortungslos und falsch, denn das Gegenteil ist der Fall.

Erst seit März dieses Jahres gilt die Regel, nach der Asylbewerber ein Taschengeld und, nach drei Monaten, vorrangig Bargeld statt Sachleistungen erhalten. Die alten Sätze, die 40 Prozent unter Hartz-IV-Niveau lagen, hatte das Bundesverfassungsgericht 2012 als menschenunwürdig verurteilt. Und an diesem Existenzminimum will Thomas de Maizière herumknapsen? Das ist erbärmlich.

Es steht außer Frage, dass das enorme Wohlstandsgefälle in Europa und der Welt viele Menschen nach Deutschland lockt, die keine Aussicht auf politisches Asyl haben. Aber weder alberne Abschreckungsfilme noch Taschengeldkürzungen werden Menschen davon abhalten, sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland aufzumachen, um ihrer Not zu entfliehen.

Das bringt manche Behörden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, und ja, viele abgelehnte Asylbewerber werden nicht hierbleiben können. Für die Länder des westlichen Balkans braucht es tatsächlich so etwas wie einen EU-Marshallplan, um insbesondere die Lage der notleidenden Roma zu verbessern. Aber bis der greift, sollte man in Deutschland zumindest nicht an der Menschenwürde sparen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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