piwik no script img

Kommentar Fidel Castros TodFidel bleibt Kuba

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Castro hat es geschafft, einen Machtapparat aufzubauen, der sich auch ohne ihn selbst zu erhalten weiß. Das ist das Erbe, das jetzt auf Kuba lastet.

Unsterblich, auch über den Tod hinaus: Fidel Castro Foto: reuters

N och vor ein paar Jahren wäre die Nachricht vom Tod Fidel Castros mehr gewesen als ein Ansporn zu Nachrufen und geschichtlichen Betrachtungen. Das war, als Fidel noch nicht nurmehr Mythos und verklärter – geliebter oder verhasster – Patriarch der kubanischen Revolution war. Das war, als er nicht historische, sondern zentrale Figur Kubas war, ohne deren Zustimmung oder gar gegen deren Willen auf der Insel keine wichtige Entscheidung getroffen werden konnte.

Sowohl die Freudenfeiern in Miami als auch die bange Frage „Und was wird jetzt?“, die am Samstag viele Kubaner*innen von der Insel auf ihre Facebook-Profile posteten, beziehen sich auf das alte Bild von Fidel. Sind genauso aus der Zeit gefallen, wie es Castro selbst schon war.

Trotzdem bewegt die Nachricht. Denn Castro hat auf eine Art Geschichte geschrieben, die nicht kalt lässt. Generationen von Kubaner*innen sind unter seiner unumstrittenen Führung groß geworden. Ob Kubas Errungenschaften gelobt oder die Verwerfungen angeprangert werden – Bezugspunkt ist immer Fidel. Wann sie das erste Mal in ihrem Leben von Fidel hörten, wird niemand auf Kuba mehr wissen, der jünger als 70 ist. An den Moment aber, als sie von Fidels Tod erfuhren, werden sich alle Kubaner*innen für den Rest ihres Lebens erinnern können.

„Fidel ist Kuba“ propagiert Kubas Regierung auch nach seinem Ableben – und an dem Spruch ist was dran, in seiner ganzen Schrecklichkeit. Heute ändert sein Tod in Kuba nichts mehr, und weltweit auch nicht. Die Entkoppelung der Machtstrukturen von seiner Präsenz vor zehn Jahren hat funktioniert. Generationen von US-Strategien, die sich an diesen Moment knüpften, sind ins Leere gelaufen. Fidel Castro hat es geschafft, einen Machtapparat aufzubauen, der sich auch ohne ihn selbst zu erhalten weiß.

Das ist das Erbe, das auf Kuba jetzt lastet. Eine Bürokratie, in der sich niemand traut, Entscheidungen zu treffen. Ein Land, dem seine bestausgebildeten jungen Leute baldmöglichst den Rücken zukehren. Ein Land, das die nationale Unabhängigkeit – von den USA – propagierte, nur um sich in immer neue Abhängigkeiten zu begeben. Eine autoritäre Regierung, die keinen Widerspruch duldet, ja nicht einmal das Benennen der eigenen Widersprüche, die jeden Tag offensichtlicher werden. Ein Führungsmodell, dessen Intransparenz die öffentliche und offene Debatte unter Kubaner*innen unmöglich macht.

Unter Linken weltweit bleibt von Fidel jener David, der elf Goliaths überstand, elf US-Präsidenten, und ein paar Hundert CIA-Mordversuche. Jener, der bei seinen Reden in der UN-Generalversammlung und als Führungspersönlichkeit der Blockfreien-Bewegung kompromisslos die Interessen des Globalen Südens gegen den Imperialismus vertrat. Der als Freund Nelson Mandelas die Apartheid in Südafrika bekämpfte, in ganz Lateinamerika Befreiungsbewegungen unterstützte.

„Viva Fidel!“ Es ist ein schönes Bild, aber es ist ein Zerrbild. Eine kubanische Freundin sagte vor kurzem: „Ich verstehe die Idee, sie ist gut. Aber ich rate euch: kommt nicht nach Kuba, um sie euch anzusehen. Es wäre zu enttäuschend.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Putzig, wie manche Linke nach Stalin, Kim, Pol Pot und Ortega immer noch am Personenkult festhängen. Wichtig ist doch, wohin entwickelt sich Kuba, zum nationalistischen Chauvinismus a la Russland oder China oder zur freien Gesellschaft politisch bewusster und aktiver Menschen? Hat das Volk die Macht, oder eine Kleptokratur 'verdienter' Bürokraten? Politische 'Radieschen' können auch groß verehrte Rrrrevolutionäre werden - das zeigen Ortega in Nicaragua oder die Kleptokraten in Südafrikas ANC zur genüge.

  • Wie konnte man sich auch nur der Illusion hingeben, dass das Vermächtnis der TAZ andere hervorbringen möge als Radieschenkinder…

     

    … außen rot, innen weiß, ja, noch nicht einmal mehr grün.

  • Schlimm ! .. der Leichnam des Alten, verstorbenen, grossen Mannes.. kaum abgekühlt, und nicht beerdigt.. da erheben sich schon arrogante Stimmen um das Lebenswerk Fidel Castros zu zerreissen ...

    ..und es fehlt- im Text des Herrn Pickert- die entsprechede historische Dimension- der TAZ unwürdig meine ich!

    • @vergessene Liebe:

      Niemand kann sein Lebenswerk mehr zerreißen, denn das hatte er schon vor Jahrzehnten selbst gemacht, als er vom Freiheitskämpfer zum Diktator wurde.

  • Woher weiß der Autor das Geschriebene nur alles so genau?

    Ich war nie in Kuba, der Autor möglicherweise auch nie.

    Von Kubareisenden bekam ich auf jeden Fall ein differenzierteres Bild, in dem auch ein großes Momentum von Achtung und Respekt gegenüber dem in Kuba aufgebauten Mitsprach.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Eine angemessene Würdigung Fidels in der taz steht aus. Das ist freilich nichts was sich in zehn, zwölf Sätzen umreißen lässt.

     

    Nun gut, warten wir auf Le Monde Diplomatique.

  • Fidel Castro ist weg. Was kommt?

    Man sieht heute die Welt im Umbruch. Die alten Machthaber der Zeit nach dem Inferno des 20. Jahrhunderts sind weg, Doch die Spuren der Historie bleiben nicht nur sichtbar, sondern sie kriechen wie verpuppte Käfer nach oben: Mit Masken, die nur oberflächlich die Ideologien von Nazis, Stalinisten, Terroristen und religiösen Fanatikern verbergen.

    In Wirklichkeit zielen ihre Propaganda-Schlachten, wie die von Trump, Le Pen, Erdoğan, Putin & Co auf die Rückkehr zu Zeiten der Zerrüttung und zentralistischer Totalität. Es sind Rückschritte - Zerstörung der Biosphäre und der demokratischen Gewaltenteilung. Die Zukunft sieht anders aus:

    Lernen aus den Fehlern der Vergangenheit; Befreiung von den Fesseln patriarchalischer Machtverhältnisse und Verhinderung von ökonomischen Zerstörungskräften. Die freie Welt ist extrem gefährdet und gerät bereits aus dem Gleichgewicht.

  • Meine Schurken, Deine Schurken

     

    „Die Geschichte wird ihn nicht freisprechen“, titelte gestern die FAZ in ihrem Nachruf auf Castro in einer für diese Zeitung typischen Einfühlsamkeit. Das regt zu der Frage an, welches Strafmaß das Weltgericht der Geschichte eigentlich dem Mafia-Paten Batista aufgebrummt hat. Und wie lauten die Plädoyers und Verdikte vor diesem Tribunal für all die Pinochets, Onganías, Videlas, Brancos, Médicis, Ubicos, Armas, Ydígoras, Montts, Samozas, Trujillos, Duvaliers, Noriegas et tutti quanti, von denen es von Roosevelt über Nixon bis zu Bush jun. heißt: „Es mögen Schurken sein, aber es sind unsere Schurken“?

  • Och nöööö "enttäuschend".

    Was für eine Heuchelei.

    Die taz kennt freilich nur das Foltergefängnis -Guantanamo- auf Kuba.