Kommentar Fernsehduell: Palin, Palin
Sarah Palin ist im TV-Duell nicht zusammengebrochen - das wird ihr von ihren Anhängern schon als Leistung angerechnet. Aber will man diese Frau als Präsidentin sehen?
Sarah Palin war richtig gut, sie konnte sogar vollständige Sätze sprechen. So gehässig das klingt - die Erwartungen an den Auftritt der republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin waren so niedrig, dass selbst Demokraten überrascht waren, wie ordentlich sich die Gouverneurin aus Alaska die 90 Debattenminuten lang halten konnte.
Aber war Sarah Palin wirklich gut? Ihre Art, fröhlich die auswendig gelernten Argumente herunterzurasseln und alle Fragen zu ignorieren, auf die ihre Karteikärtchen keine Antwort boten, ihr herausgekehrter Provinzakzent und ihre wiederholte Beschwörung, sie und ihr Runningmate John McCain seien geniale Einzelkämpfer - all das drängt nur eine Frage auf: Was hat sich John McCain eigentlich dabei gedacht, einen Menschen so geringen Formats als Vizekandidatin zu bestellen? Die Antwort muss lauten: Er ist ein Hasardeur.
Joe Biden, der demokratische Vizekandidat, bot den Eindruck, schon mal lebendiger ausgesehen zu haben. Aber immerhin schien er vollständig im Bilde zu sein über das, was er da von sich gab.
Bei Joe Biden kann man sicher sein, dass ihn Obama ernsthaft um Rat und Unterstützung bitten kann - und dass er, im Falle eines Falles, in der Lage ist, das höchste Amt auszufüllen. Dass die Macht im Weißen Haus eines Tages Palin zufallen könnte - der Gedanke dagegen macht Bauchschmerzen.
Mit ihrem Auftritt wird Palin in all jenen Gegenden der USA gepunktet haben, wo man Washington aufrichtig hasst und es gut ankommt, wenn man sich als gewöhnliche Hockey Mom stilisiert. Doch die Wählenden der Mitte und die Unentschlossenen konnte sie mit ihren vorgestanzten Antworten nicht erreichen. Da hilft es auch nicht, dass sie plump um jüdische Wähler buhlt, indem sie den Neubau der US-Botschaft in einer israelischen "Hauptstadt Jerusalem" ankündigte - ein Satz unter vielen, der ihre völlige Ahnungslosigkeit in weltpolitischen Dingen illustriert.
Nein, Palin hat McCain nicht mehr geschadet, als er das bereits selbst getan hat. Aber sie hat bestätigt, wie billig das Kalkül ihrer Ernennung war.
ADRIENNE WOLTERSDORF
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