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Kommentar Fall Menger-HamiltonWillkür bei der Einbürgerung

Kommentar von Christian Semler

Der Fall Menger-Hamilton zeigt die vollständige Willkür, wie in den verschiedenen Bundesländern die Verfassungsmäßigkeit der Partei Die Linke beurteilt wird.

M an glaubt, eine grob übertreibende Satire auf ein Fossil des Kalten Krieges vor sich zu haben. Aber der Bescheid, mit dem von der Behörde "Öffentliche Sicherheit Hannover" der Einbürgerungsantrag von Jannine Menger-Hamilton abgelehnt wurde, ist bitterernste Realität. Die Ablehnung gründet sich einzig und allein auf die Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Partei Die Linke.

Nach Meinung der Einbürgerungsbehörde ist die "programmatisch-ideologische Ausrichtung" der Linken unvereinbar mit der Werteordnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dies zeige sich insbesondere daran, dass im Rahmen einer erstrebten "Wirtschaftsdemokratie" ganze Wirtschaftsbereiche "entprivatisiert" würden, mit dem Ziel einer Überwindung des Kapitalismus.

Solche Ideen hält die Behörde für "extremistisch", was freilich kein Rechtsbegriff ist, sondern ein ins Belieben gestellte politische Charakterisierung. Doch daraus leitet sie ab, warum der Einbürgerungsantrag abzulehnen sei, ohne einen "tatsächlichen Anhaltspunkt" für eine angeblich verfassungsfeindliche Gesinnung der Bewerberin zu nennen.

Wie kommt es, dass eine Behörde dermaßen ungeniert mit dem Grundgesetz Schindluder treibt und eine offensichtlich legale Zielsetzung einer Partei, die Errichtung einer Gemeinwirtschaft im Rahmen der parlamentarischen Demokratie, als verfassungsfeindlich diffamiert? Das hängt mit der Erfordernis der Regelanfrage zusammen, die bei Einbürgerungsverfahren beim Verfassungsschutz eingeholt werden muss.

Schon diese Regelanfrage selbst ist unter demokratischen Gesichtspunkten abzulehnen, stellt sie doch einbürgerungswillige AusländerInnen unter Pauschalverdacht, kehrt die Unschuldsvermutung um und basiert auf dem ungehemmten Datenfluss zwischen dem Geheimdienst und der entscheidenden Staatsbehörde. Ergebnis: Der Stuss, den der niedersächsische Verfassungsschutz zusammengeschrieben hat, findet sich getreulich in dem Ablehnungsbescheid wieder.

Der Fall Menger-Hamilton zeigt die vollständige Willkür, wie in den verschiedenen Bundesländern die Verfassungsmäßigkeit der Partei Die Linke beurteilt wird. Mal geachtete Regierungspartei, mal partiell, mal in toto Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Wie wärs, wenn statt Ressentiments die Fakten respektiert würden?

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11 Kommentare

 / 
  • AM
    A. M. Lopez

    und KUBA wird angeführt - wegen

    staatsgefährdender Neigung zum Verreisen.

    In diesem Bundesland sitzen die falschen Leute an den falschen Stellen. - Dabei haben wir hier ein Vorzeigebeispiel von Integrationsbemühen und -leistung. Das wird kräftig hintertrieben.

  • R
    Ritter-Rayer

    Ich wollte eigentlich dieses Jahr in Niedersachsen

    Urlaub machen - das hat sich nun erledigt. Die spinnen wohl in Hannover.

  • V
    vic

    @ Demokrat

    wenn man so weit rechts steht, ist alles andere links. Das verstehe ich. Aber demokratisch ist das nicht, was sie von sich geben.

    Sie glauben vermutlich, Westwerwelles Kurs wäre demokratisch? Sehen sie, schon wieder ein Irrtum.

  • SL
    Sarah Luzia Hassel-Reusing

    Laut des Artikel der taz vom 24.02.2010 ist über den Antrag von Frau Jannine Menger- Hamilton, der Pressesprecherin der Linksfraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, auf die deutsche Staatsbürgerschaft seit zweieinhalb Jahren noch keine Entscheidung gefallen. Die Antrag- stellerin war noch 2007 in der SPD gewesen. Ihre Eltern haben die britische bzw. die italienische Staatsbürgerschaft.

    Der Grund für die Dauer des Einbürgerungsverfahrens ist laut dem taz-Artikel eine Bewertung des niedersächsischen Verfassungsschutzes bzgl. der Linkspartei gewesen. Demnach sehe der nieder- sächsische Verfassungsschutz den von der Linkspartei vertretenen “demokratischen Sozialismus” als nur scheinbar mit dem GG vereinbar an. Und die “Wirtschaftsdemokratie” bedeute nichts ande- res als die Entprivatisierung ganzer Wirtschaftsbereiche. Außerdem hätten einige in der Linkspartei mangelnde Distanz zu Kuba. Schließlich wurden Texte der “kommunistischen Plattform” innerhalb der Linkspartei zitiert, ohne dass geltend gemacht worden wäre, dass die Antragstellerin dieser Strö- mung innerhalb der Linkspartei überhaupt angehören würde – was bei einer ehemaligen Sozialde-mokratin auch eher unwahrscheinlich wäre. Vom cdu-geführten niedersächsischen Innenministeri-um hat Frau Menger-Hamilton die Aufforderung erhalten, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

    Dabei ist die Antragstellerin damals von der SPD zur Linkspartei gewechselt wegen ihrer Kritik am Afghanistan-Krieg, an Hartz IV und an der rot-grünen Steuerpolitik. Das macht eher einen sehr grundgesetztreuen Eindruck. Denn die Ablehnung eines Krieges ist im Sinne des Friedensgebotes (Art. 1 Abs. 2 GG) und der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG). Kritik an Hartz IV schließlich ist förderlich für die unantastbare Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG). Obendrein hat sie eine Loyalitätserklärung zum GG unterschrieben. Es müsste doch gerade im Interesse des niedersächsischen Verfassungsschutzes sein, möglichst viele Men-schen wie Frau Menger-Hamilton in der Linkspartei zu haben, um eine möglicherweise befürchtete Radikalisierung zu verhindern.

     

    Dabei haben sowohl die niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten als auch sämtliche nieder-sächsischen Regierungsmitglieder ein Eid geleistet, der sie sowohl auf die Landesverfassung Nie-dersachsens als auch auf das Grundgesetz verpflichtet. Und zum Grundgesetz gehört auch der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), welcher dazu verpflichtet, wesentlich gleiches gleich und wesentlich ungleiches ungleich zu behandeln. Einer besonders grundgesetztreuen EU-Bürgerin gegenüber die Entscheidung über einen Einbürgerungsantrag aufzuschieben, weil es in ihrer Partei vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtete Strömungen gibt, welchen sie überhaupt nicht angehört, verstösst nach meiner Rechtsauffassung klar gegen den Gleichheitsgrundsatz. Bei einer Partei mit Tausenden von Mitgliedern kann man nicht einfach alle Strömungen über einen Kamm scheren.

     

    Nach Art. 73 Nr. 10 GG sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und auch der Länder be- rufen zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, deren Inhalt erstmals vom Bun-desverfassungsgericht in Leitsatz 2 des Urteils vom 23.10.1952 (Az. 1 BvB 1/51, veröffentlicht unter BVerfGE 2,1) definiert und später so in §4 Abs. 2 BVerfSchG übernommen worden ist.

     

    Und während der niedersächsische Verfassungsschutz seine aus Steuermitteln bezahlte Arbeits- zeit einer demokratischen EU-Bürgerin widmet, die einen positiven Einfluss auf die Linkspartei hat, scheint er dadurch dermaßen abgelenkt zu sein, dass er die größten gegenwärtigen Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung völlig übersieht.

    Gerade die CDU, welche Niedersachsen regiert und dort auch das Innenministerium leitet, steht laut Randnumern 584-591 des schwarz-gelben Koalitionsvertrags auf Bundesebene dafür, grundsätzlich alle staatlichen Aufgaben, welche Privatfirmen wesentlich billiger erledigen können als der Staat selbst, an privat zu vergeben. Das verstößt in höchstem Maße gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, weil sich bei Vergabe des hoheitlichen an privat insbesondere die demokratische Legitimationskette und das Willkürverbot nicht mehr sicherstellen lassen (§4 Abs. 2 lit. a + f BVerfSchG). Bei Vergabe der Wahlämter, der Sicherheitsorgane und der Gerichte an privat wären alle 7 Merkmale der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verletzt. Hinzu kommt, dass der Koalitionsvertrag ein aktives Handeln betreibt, welches staatliche Einrichtungen in ihrer Funktions-fähigkeit durch die Vergabe an Private mit privaten Interessen erheblich beeinträchtigen würde (§4 Abs. 1 lit. b BVerfSchG).

    Die Vergabe hoheitlicher Aufgaben an private Konzerne verstösst darüber hinaus gegen den Funkti-onsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG), die Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) und die Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG). Der Kontrollverlust des Staates würde bis an den Rand der Auflösung des Staates und der bereits vorverfassungsrechtlichen Demokratie gehen. Und das, obwohl Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, heute immerhin Vorsitzender des 2. Senats des Bundes- verfassungsgerichts, bereits in These 12 seiner Rede vor der VVDStRL im Oktober 2002 in St. Gal-len angesichts des Kontrollverlustes des Staates (“Verlust an Direktionskraft”) bereits die Verfas- sungswidrigkeit der Vermischung von Staat und privat (“Mixtum zwischen Staat und Gesellschaft”) bereits vom Ansatz (also von der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität her) des GG her erkannt hat.

    Das wiegt weit schwerer als die Frage, ob Teile der Linkspartei bei Verstaatlichungen möglicher-weise weniger entschädigen wollen, als es Art. 14 GG vorschreibt.

     

    Und wird nicht im ebenfalls schwarz-gelben Niedersachsen sogar über ein teilprivatisiertes Gefäng-nis nachgedacht?

     

    Darüber hinaus sprechen sich einflussreiche CDU-Politiker für die Überprüfung der sicherheitspolitischen Vorschriften des Grundgesetzes aus, während Politiker der Linken in großen Scharen die Friedensbewegung unterstützen. Wer hat das Friedensgebot des Art. 1 Abs. 2 GG besser verinnerlicht?

     

    Die im Hinblick auf §4 Abs. 1 lit. b + Abs. 2 BVerfSchG kaum nachvollziehbare Bevorzugung der CDU vor der Linkspartei durch den niedersächsischen Verfassungsschutz, obwohl die CDU auf den verfassungsrechtlichen Abgrund zusteuert, scheint mir mit dem Gleichheitsgrundsatz unverein-bar.

  • J
    Jens

    Bei Lektüre dieses Artikels erfuhr ich erstmals vom skandalösen Fehlverhalten der zuständigen niedersächsischen Behörden. Der Vorgang erfordert die volle Aufmerksamkeit des Landesvaters, Herrn Christian Wulff, und seines Innenministers,um Frau Jannine Menger Hamilton und ihre Familie zu rehabilitieren.

  • E
    :)ens

    @Demokrat (hahaha, der Nickname ist echt Granate!):

    Ob wer ein Problem mit irgendwas hat, was in Deutschland allgemein zur Demokratie dazugehört – so wie das Staatswesen –, ist völlig irrelevant!

     

    Abgesehen davon, dass in diesem Lande ein großer Teil der Bevölkerung – wenn nicht die Mehrheit – große Probleme mit dem real-existierenden Staatswesen hat, ich inklsuive. Der Vorgang ist ein weiterer Beleg dafür, dass diese Art „Problem“ sehr eng an der Wirklichkeit orientiert, fundiert und von vornherein demokratisch ist! (apropos: WAS bedeutet Demokratie nochmal? – Nein, Duckmäusertum war es nicht, ales-richtig-finden auch nicht, Meinungen anderer mit allen Mitteln unterdrücken-Wollen – nein, das gilt allgemein auch nicht als demokratisch, Demokrat, Du!)

     

    Damit auch Sie das verstehen: Einfach mal in die Reden von Menschen wie Westerwelle oder Schäuble reinlesen. Die sind nicht nur deutsch, gelten als Demokraten, sondern sie haben sogar Verantwortung für die Wahrung der Demokratie, des Staatswesens und für das Wohl von uns als Bürgern.

    TROTZDEM verfolgen sie mit aller Macht die Aushebelung von im Grundgesetz Festgeschriebenem! – Ob dies nun Wahrung der Privatsphäre, menschenwürdiges Leben oder sonstwas ist, was den Interessen o.g. entgegen steht…

     

    Was halten Sie denn in Bezug diese Menschen für eine demokratische Vorgehensweise?

     

    Und was sollte passieren, wenn von staatlicher Stelle nicht ganz zu Unrecht festgestellt würde, dass Ihre politische, gesellschaftliche und menshcliche Einstellung zu Ihrer Überraschung als antidemokratisch gewertet würde…?

  • D
    Demokrat

    Wieso Willkür? Ein erheblicher Teil der Linken, die PDS, hat eindeutig ein Problem mit dem demokratischen Staatswesen.

  • A
    Andrela

    Excellenter Kommentar!

    Das zeigt einmal mehr, dass es in diesem Bereich enormen Reformbedarf gibt: Sowohl, was das Staatsangehörigkeitsrecht anbelangt (inclusive deutsche Leit(d)-Kultur-exzessen) aber ebenso im europäischen Bereich: Wenn man überlegt, was einer der Auslöser war: Sie wollte heiraten! Das sollte doch wohl machbar sein Brüsseler Behörden mal in die Richtung zu bewegen, dass es - ähnlich wie bei "internationalen und mehrsprachigen Geburtsurkunden" ein solches Dokument vereinheitlicht.

    Ich hatte vor einigen Jahren auch grossen Spass, meinen "Ehetauglichkeitsnachweis" zu bekommen, um in Frankreich zu heiraten.

    Zurück zum Thema: Welche Kriterien die Freunde vom Verfassungschutz hier anlegen, müssen schleunigst publik gemacht werden. Wenn es dann keine konkreten Vorwürfe gegen sie gibt, dann EINBÜRGERN SOFORT und mit einem Extrasternchen als Entschuldigung für borniertes Verhalten.

    Wahlweise Ausbürgerung des zuständigen Sachbearbeiters wegen verfassungsschädigenden Verhaltens ;-)

    Junge gesellschaftlich engagierte, gut gebildete Menschen sollte dieses unser Land mit Kusshand und Einbürgerungsprämie nehmen!!

  • MB
    Markus B.

    Also ich bin ja als Pirat wirklich kein Freund von linker Ideologie. Genausowenig wie ich konservative oder rechte Ideologie ausstehen kann. Aber das eine Einbürgerungswillige wegen ihrer Parteimitgliedschaft bei den Linken abgelehnt wird halte ich für erschreckend. Noch dazu wird die Mitlgliedschaft bei einer Partei, die der Behörde nicht gefällt so unverfrohren als Grund angegeben. Es ist dort scheinbar normal politische Gegner zu schikanieren.

     

    Die linke Ideologie ist zwar genauso veraltet und ein Balast wie jede andere auch aber Angst hätte ich da ehr vor der FDP. Wenn die unter sich sind (oder das glauben) lassen die ihre freiheitliche Maske schneller fallen als ein Footballspieler den Ball bei einem Touchdown.

     

    Beweis:

    http://forum.fdp-bundesverband.de/read.php?10,1258784,1258784#msg-1258784

  • SD
    SOKRATES- DÆNEMARK

    sCHØNE SCHEISSE DIESES URTEIL! IST WOHL ERFOLG DES TRADITIONELL- KAPITALISTISCHEN NEOKONSERVATISMUS, DER DA- IM LICHTE GLOBALKAPITALISTISCHER WACHSTUMSBEGRENZTHEIT (UND KRISE..)- UMSCHLÆGT IN

    PANIK ? DIE ADEPTEN DER IDEOLOGIE MØGLICHER WELTRETTUNG WERDEN DISKRIMINIERT UND ABGEWIESEN..

    DIES URTEIL ZEUGT AUCH VON ERSTARRTER UND STAGNIERTER, ANTIFUTURISTISCHER BETONINTELLIGENZ !!!

    MAN SOLLTE DIE ENTSCHEIDENDEN EINFACH "FEUERN" WEIL SIE DER ZUKUNFT DER REPUBLIK NEGATIV IM WEGE STEHEN !!!

  • S
    Sakralpunker

    Da verschlägt es einem den Atem, wenn man die Fakten des Artikels und dieses Kommentars liest. Mein Mund steht imer noch offen...

     

    Ich denke, dass die wirklichen Verfassungsfeinde im Innenministerium in Hanover und dem Verfassungsschutz sitzen.

     

    Einfach unglaublich...