Kommentar FDP-Parteitag: Mitleid zieht vorüber
Gewinner der Krise der FDP wird Christian Lindner sein. Er ist als einziger rechtzeitig auf Distanz zu Rösler gegangen. Nun wird ihm die Partei in den Schoß fallen.
S elten dürfte der Vorsitzende einer deutschen Partei auf einer so wichtigen Kundgebung so wenig Respekt erfahren haben wie Philipp Rösler am Sonntag in Stuttgart beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP. Er hatte keine Chance, und er hat sie mit seiner nebulösen Rede auch nicht genutzt. Allen Ernstes debattierte der junge Mann den Sinn und Zweck des Liberalismus. Und erntete mit seiner öffentlichen Sinnsuche schüttersten Applaus. Fast konnte man Mitleid haben.
Dabei war Rösler – zusammen mit Christian Lindner und Daniel Bahr – einst angetreten, die Partei zu verjüngen und ihr Profil zu schärfen. Am 20. Januar wird in Niedersachsen gewählt, im September im Bund, und alle Umfragewerte sehen die Liberalen „unter der Wasserlinie“, wie Rösler selbst es ausdrückt.
Kein Wunder, dass vor allem die Granden in der Partei murren. Wer die kritischen Wortmeldungen der letzten Tage und Wochen verfolgt hat, muss den Eindruck haben, dass der FDP ein umgekehrter Generationswechsel bevorsteht. Weg von den Jungen, zurück zu den Alten. Aber das trügt.
ist Korrespondent der taz in Wiesbaden.
Dirk Niebel, Hermann Otto Solms, Wolfgang Kubicki, Wolfgang Gerhardt – sie alle wenden sich zusehends von Rösler ab, ohne dass zunächst klar wäre, wem oder was sie sich stattdessen zuwenden. Einigkeit schien in Stuttgart nur darin zu bestehen, dass die FDP „Personaldebatten“ vermeiden müsse. Was natürlich die Personaldebatte nur noch schriller klingen lässt und die Frage aufwirft, warum denn niemand in der Partei den Mumm hat, den Leiden des jungen Rösler endlich ein Ende zu machen.
Brüderle als Übergangslösung
Einzig Dirk Niebel preschte vor und betonte, die Partei könne es sich „nicht leisten, dass sie die notwendigen Entscheidungen weiter aufschiebt“. Abhilfe könne nur eine Neuwahl der Führungsspitze noch vor dem geplanten Parteitag im Mai schaffen. Aber als Verantwortlicher für eine Pleite im September – mag auch der robuste Niebel nicht in die Parteigeschichte eingehen.
Und so wird es früher oder später auf einen Kompromiss hinauslaufen, also auf Rainer „Mister Mittelstand“ Brüderle als Interims-Papst, 67 Jahre alt. Und danach? Läuft alles auf den einzigen liberalen Hoffnungsträger zu, der rechtzeitig auf Distanz zu Rösler gegangen ist und, in Nordrhein-Westfalen, mit sensationellen 8 Prozent bereits „geliefert“ (FDP-Sprech) hat: Christian Lindner. Beim Schlamassel in Stuttgart saß er nicht auf dem Podium. Sondern, ganz gelassen, im Parkett. In der ersten Reihe, wo ihm die Partei in den Schoß fallen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken