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Kommentar Eurovision Song ContestMenschenrechtspolitischer Glücksfall

Jan Feddersen
Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen und Jan Feddersen

Den ESC in Baku zu boykottieren ist falsch. Nur weil der Popevent dort stattfindet, werden Menschenrechte und Demokratie in Aserbaidschan überhaupt thematisiert.

D ass die Lage der Menschenrechte, überhaupt der Demokratie in Aserbaidschan, nun in die mitteleuropäische Debatte gerät, ist gut. Was denn sonst? Ohne den Sieg beim Eurovision Song Contest voriges Jahr in Düsseldorf wäre dieses kaukasische Land nicht zum Privileg gekommen, das Popevent auszurichten - und niemand hätte sich für die Kosten der marktwirtschaftlich-rechtsstaatsarmen Freiheit dort interessiert.

Das Regime in Baku wird sich im Lichte dieses Ereignisses Ende Mai sonnen. Auch hier gilt: Was denn sonst? Dieser Effekt kann nicht unterlaufen werden, so sehr man dies auch wollen könnte. Dieses Land möchte sich als modern, ökonomisch anschlussfähig und prosperierend darstellen - und der Sieg beim ESC voriges Jahr ist ein Schlüssel dazu. Die Siegenden performten zu einem Act, der in skandinavischen Popstuben gefertigt wurde und also moderner klang als das, was in Aserbaidschan üblich ist.

In Aserbaidschan brach beim ESC-Sieg fettester Jubel aus. Menschenrechtler in Baku möchten unbedingt, dass 10.000 Journalisten, Fans und Künstler samt Entourage im Mai in ihr Land, in ihre Stadt kommen. Ein Eurovision Song Contest bedeutet ihnen: Dass ihre Anliegen erörtert und medial transportiert werden. Dass sie also durch die Debatte selbst auf gewisse Weise geschützt werden, denn ihre Kämpfe bleiben dann nicht mehr unsichtbar für andere.

Bild: Archiv
Jan Feddersen

ist Redakteur für besondere Aufgaben der taz.

Boykottaufrufe laufen ohnehin ins Leere. Wer diesen ernsthaft Glauben schenkt, muss Ländern wie Aserbaidschan oder Georgien oder Russland überhaupt vor allem dies sagen: Ihr dürft jetzt nicht mehr an diesem Contest teilnehmen, nicht mehr an sportlichen Ereignissen (Fußball, Olympia). Dass der ESC in Baku zelebriert wird, könnte menschenrechtspolitisch ein Glücksfall sein.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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