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Kommentar EinwanderungVerhängnisvoller Talenteschwund

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Die Einwanderung nach Deutschland wächst. Das ist gut. Spanien, Griechenland, Portugal und Italien aber verlieren das Wertvollste, was sie haben.

H urra, die Zahl der Einwanderer wächst! Das ist zu begrüßen. Unsere Gesellschaft wird vielfältiger – und das trotz dieser Zeiten, in denen in Europa rassistische und antieuropäische Ressentiments zunehmen.

Auch hat die gestiegene Einwanderung aus den europäischen Krisenländern einen Hauch von ausgleichender Gerechtigkeit: Wenn unter dem Diktat der Troika und maßgeblich dem Druck der deutschen Regierung umliegende Länder in den Ruin gespart werden, dann ist es wohl das Mindeste, dass Menschen von dort hierzulande eine neue Zukunft suchen können.

Genau darin liegt aber auch die Tragik der Entwicklung. Denn in der Krise kommen viele nicht nach Deutschland, weil sie Lust auf Aufbruch und Tapetenwechsel haben, sondern weil ihnen in ihren Ländern die Zukunft geraubt wird. Auch etliche Migranten packen darum erneut die Koffer. Die einst verheißungsvollen Zielländer bieten keine Jobs mehr.

Bild: taz
Eva Völpel

ist Inlandsredakteurin der taz.

Kurzfristig gedacht, sorgt die Abwanderung aus den Ländern des europäischen Südens dabei sogar für minimale Entlastung der siechenden Arbeitsmärkte und Sozialsysteme. Langfristig aber verlieren Spanien, Griechenland, Portugal oder Italien das Wertvollste, was sie für die Zukunft haben: ihre gut ausgebildete Jugend. Denn vor allem junge und qualifizierte Menschen verlassen ihre Heimat.

Verhängnisvollen „Braindrain“ nennen die Forscher so etwas. Noch ist dieser Talenteschwund nicht dramatisch. Doch er wird größer werden, denn eine andere Politik und nachhaltiges Wirtschaftswachstum sind für viele Länder nicht in Sicht.

Und die deutsche Regierung? Steht mal wieder auf der Gewinnerseite. Sie setzt nicht nur ihre Vorstellung von Spar- und Reformpolitik in der EU rigoros durch, sondern erntet auch noch die „Früchte“: arbeitswillige, junge Fachkräfte, nach denen die Unternehmer hierzulande verzweifelt rufen. Die wiederum können sich freuen, dass sie sehr billig davonkommen. Denn aus dem wachsenden Pool von Arbeitssuchenden können sie sich die besten Kräfte herauspicken und aufwendige Nachqualifizierungen vermeiden. Grotesker geht es kaum.

Doch mit der Migration und den Erzählungen aus den Nachbarländern rückt auch die Krise näher an die hiesige Gesellschaft. Das Verständnis für das, was um uns herum passiert, könnte wachsen. Und das ist bitter nötig.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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9 Kommentare

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  • K
    Katev

    Liebe Fau Völpel,

    die Arbeitgeber rufen anscheinend so verzweifelt nach Fachkräften, nicht weil hierzulande ein Mangel danach herrscht, sondern weil die verstärkte Zuwanderung das Angebot verbreitert und somit deren Gehälter/Arbeitsbedingungen herunter konkurriert werden. Wann hört die taz endlich auf dieses Propagandakonstrukt vom deutschen Fachkräftemangel nach zu erzählen?

    Die europäischen Arbeitnehmer werden bloß noch weiter gegeneinander ausgespielt und das wird eher nicht dazu führen, dass in Deutschland das Verständnis für die Krise in Südeuropa wächst...

  • B
    bouleazero

    Völlig verfehlte Wirtschaftspolitik kann man bei praktisch allen europäischen Regierungen beklagen: bei den einen, weil sie unproduktive Arbeitsplätze in der Verwaltung schaffen und damit Arbeitslosigkeit kaschieren anstatt reale Werte zu schaffen; und bei den anderen, weil sie jene Staaten zu ziellosen Einsparungen zwingen und damit das Rad der Wirtschaft fast zum Stillstand bringen. Natürlich ist die deutsche Regierung faustdick für das Gewaltsparen Griechenlands u.a. Länder verantwortlich. Von daher ist die Analyse des Artikels sehr klar und richtig: dort abwandernde qualifizierte Arbeitskräfte werden hier zu preiswerten Facharbeitern. Das ist nicht neu.

    Abgesehen davon ist es gut und richtig, wenn Menschen sich von einem Kulturraum in einen anderen begeben, weil wir so - UND NUR SO - dem Frieden ein Stück näher kommen. Ich freue mich mit der Artikelschreiberin über mehr Griechen und Spanier und Burkiner in Deutschland, so wie ich mehr Deutsche in anderen Ländern nur gutheissen kann. (Jedoch nicht als Soldaten!)

  • B
    BerndJoel

    Es gibt keinen Fachkräftemangel in Deutschland - schade, dass selbst die TAZ dieser neoliberalen Propoganda aufsitzt. Auch ist es recht blauäugig zu hoffen, mit Südeuropäern käme ein Hauch von Protest nach Deutschland. Nach meinen Erfahrungen sind es meist zugewanderte Europäer, die sich am schnellsten anpassen und sich wegducken. Auch deswegen, weil sie gegen inländische Konkurrenz um einen Arbeitsplatz kämpfen müssen.

  • T
    Teermaschine

    Wie fest darf ich meine gedruckte taz-Ausgabe rollen? - Könnte ja sein, eure flinke Feder drückt sich zufällig mal an genau der Schlange vorbei, in der auch ich für die Besichtigung einer bezahlbaren Wohnung anstehe.

  • DK
    Die Kehrseiten

    Wer fremden Aufwuchs abgreifen kann, braucht eigenen nicht betreiben, in ihm und für ihn investieren.

     

    Spart doch erst mal jede Menge Kita-Plätze und was da so alles anfällt.

     

    Auch in der Landwirtschaft gibt es getrennte Ferkelaufzuchtsbetriebe auf der einen, Mast- und Verwertungsbetriebe auf der anderen Seite.

  • DL
    Daniel L

    Genau! Das Verständnis könnte wachsen, wenn man mit den Neuankömmlingen spricht. Habe in Berlin schon mit einigen Italienern sprechen können, die Spanier haben sogar ihr eigenes Webportal. Was man von ihnen erfährt ist aber nicht, dass ihre Länder unter dem "Druck der deutschen Regierung ... in den Ruin gespart werden", sondern welche Zustände in ihren Ländern sie zum Abgang gezwungen haben, für die man die Bundesregierung nicht verantwortlich machen kann. Wie zB die selbst die Kirche in Spanien über eigene Banken an der Immobilienbonanza mitgewirkt hat, wie korrupt die Vergabe von Baugenehmigungen gehandhabt wurde. Von Italienern erfährt man vom völlig gestörten Verhältnis von Staat und Bevölkerung, keiner bezahlt die Rechnung des andern. Das sind wirtschaftliche Probleme, die virulent wurden als den Regierungen aufging, dass sie keine Euros drucken können und die EU nicht für neue Kredite bürgen will ohne Bedingungen.

     

    Vermutlich ärgert Ihr Euch über den primitiven Ton Eurer Nachbarn (Bild) im Umgang mit der Euro-Krise. Aber Ihr solltet nicht auf deren Niveau sinken. Zu behaupten die Bundesregierung spare die Südländer in den Ruin ist verleumderisch. Das sehen selbst die neuen Migranten anders. Langfristig werden viele von ihnen zurückkehren mit gewonnener Erfahrung, bis dahin werden sie ihre Familien in der Heimat unterstützen und die Last von den drtigen Sozialkassen nehmen. Ich kann da nichts verhängnisvolles erkennen.

  • A
    ada

    seltsamer Artikel. Fakten werden ignoriert, um Ideologie zu frönen. Ohne Deutschland würde Griechenland immer noch 2. oder 3. Weltland sein. Jahrzehntelange Hilfe durch Deutschland führte in griechischer Eigenregie nur zu einem Anschwellen von Korruption, Vetternwirtschaft und Bankstertum. Jetzt haben die Griechen den Karren endgültig an die Wand gefahren und Deutschland hilft weiter. Logischerweise mit dem Versuch, Griechenland zu helfen sich nachhaltig umzustrukturieren, weil eine permanente Alimentierung des unfairen und ungesunden griechischen Systems faktisch nicht möglich ist. Also sehen wir hier einen Täter = Griechenland und einen Helfer = Deutschland. Wie Frau Völpel es schafft das offensichtliche ins Gegenteil zu verkehren ist schon erstaunlich kreativ und zeugt von einer blühenden Phantasie. Um Morgenstern zu zitieren, "weil nicht sein kann, was nicht sein darf!"

  • U
    Unbequemer

    "Hurra, die Zahl der Einwanderer wächst! Das ist zu begrüßen. Unsere Gesellschaft wird vielfältiger – und das trotz dieser Zeiten, in denen in Europa rassistische und antieuropäische Ressentiments zunehmen."

     

    Es ist kaum zu glauben, mit wieviel Sinnfreiheit man bei der TAZ Artikel verfassen darf. Hurra, die Einwanderung wächst - das wichtigste für Frau Völpel ist, daß wir Einwanderung haben. Aber nicht, weil wir diese brauchen, sondern als Schlag gegen das Spießertum. Was für ein primitives, kurzsichtiges Weltbild. Hurra, hurra ... die TAZ Jubelperser sind da...

  • S
    Sebastian

    Mir greift dieser Kommentar etwas zu kurz. Deutschland als bewussten Einwanderungsnutzniesser der Misere anderer zu portraetieren is schlichtweg falsch.

    Ich wohne und arbeite in Griechenland, und man muss sich, wenn man so einen Kommentar verfasst, auch mal mit dem Arbeitsmarkt in eben diesen Laendern auseinandersetzen um zu verstehen, warum die Jungen (wieder) das Land verlassen.

    Die meisten Arbeitsplaetze in Griechenland gibt es traditionell in den Bereichen Staat, Tourismus und Landwirtschaft. Wie auch in Deutschland stehen Arbeitsplaetze im Tourismus und in der Landwirtschaft bei vielen, gerade jungen Menschen nicht gerade hoch im Kurs. Dazu bieten beide Bereiche nur sehr wenige Jobs fuer Akademiker.

    Man kann jetzt diskutieren wie man will, aber Fakt ist einfach, dass die Menschen immer besser ausgebildet wurden, aber der Arbeitsmakrt sich nicht dementsprechend entwickelt hat. Also trafen hunderttausende Akademiker auf einen Arbeitsmakrt der gar nichts mit Akademikern anfangen kann. Dieses Problem hat in den letzten dreissig Jahren dann der griechische Staat geloest, indem die Anzahl der Staatsbediensteten seit Griechenlands EU Beitritt (1981) mehr als verdoppelt wurde.

    Dazu kamen quasi staatliche Einkommensgarantien fuer bestimmte Berufsgruppen (Anwaelte, Architekten usw.).

    Mit Beitritt Griechenlands zur EZ gab es dann noch einen kreditgetriebenen Bauboom der auch zu einer erhoeten Industrieleistung fuehrte (hauptsaechlich Beton), dieser Boom ist jetzt vorbei und schrumpft wieder auf vor 2001 Niveau.

    Das groesste Problem in Griechenland ist, dass die von Ihnen beschriebene gut ausgebildete Jugend, es nicht vollbracht hat ihr Wissen in greifbares umzumuenzen. Wie kann es sein, dass Griechenland mit einer hoeheren Akademikerquote als Deutschland und mit einer geradezu ausufernden Universitaetslandschaft im Bereich der Forschung, sowie im Bereich der Patentanmeldungen soweit zurueck liegt?

    Auch ist es ein Trugschluss zu glauben, dass diese gut ausgebildeten Leute bisher auch in entsprechenden Berufen gearbeitet haben. Wer Elektrotechnik studiert hat, der hat bisher in Griechenland zumeist als Elektriker gearbeitet usw.

    Dazu war auch vor der Krise die Jugendarbeitslosigkeit bereits extrem hoch (25%).

     

    Griechenland war vor 1981 ein typisches, landwirtschaftlich gepraegtes Auswanderungsland. Erst mit Beitritt zur EU und spaeter zur EZ konnte dieser Trend gestoppt werden. Es kamen in den 2000er Jahren sogar Griechen aus den USA und Australien zurueck, da sich die wirtschaftlichen Aussichten stark verbessert haben. Leider nicht nachhaltig.