Kommentar Einheitsfeier in Dresden: Mach es, Gauck!
Eine Absage wäre der größtmögliche Erfolg für die Täter. Unbeteiligte könnten sich verurteilt und Linke alleingelassen fühlen.
E s ist verständlich, wenn jemand keine Lust hat, derzeit nach Dresden zu fahren. Nach all den rechtsradikalen Pegida-Aufmärschen, rechtslastigen CDU-Aussetzern und widerlichen Attacken auf Geflüchtete in Sachsen kann einem das Feiern dort vergehen, ja, man kann auch Angst bekommen. Und doch wäre es fatal, ausgerechnet jetzt die offizielle Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden abzusagen.
Eine solch drastische Maßnahme direkt nach Anschlägen auf eine Moschee und ein Kongresszentrum wäre der größtmögliche Erfolg für die Täter. Und alle potenziellen Nachahmer könnten daraus lernen, wie man mit geringem Aufwand eine riesige politische Wirkung erzielt.
Was machen wir erst, wenn Bomben vor dem Bundestag gezündet werden? Die nächste Sitzung absagen? Oder gleich die Wahl des Bundespräsidenten?
Auch abgesehen von den aktuellen Anschlägen wäre es die falsche Reaktion auf die rechten Umtriebe, jetzt die Einheitsfeier zu streichen. „Einfach nicht mehr hinfahren“ ist immer das Leichteste. Aber was soll dadurch besser werden? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Boykott die Rechten zum Umdenken bewegt, ist gering. Umso größer ist die Gefahr, dass sich Unbeteiligte mit verurteilt und Linke alleingelassen fühlen.
Die Feier ist ja keine speziell ausgedachte, perverse Belohnung für die Hauptstadt der Pegida-Bewegung, die man natürlich rückgängig machen müsste. Dresden ist zufällig turnusmäßig dran. Das Fest abzusagen, wäre eine Kollektivstrafe. Wollen wir das wirklich? Wollen wir künftig alle Städte, Landkreise, Bundesländer boykottieren und ihnen die üblichen Rechte entziehen, wenn dort die Rechten . . . ja, was eigentlich? Wenn sie zwei Anschläge begangen haben oder zehn? Wenn 20 Prozent AfD gewählt haben oder 35?
So kommen wir nicht weiter. Wenn Linke und Liberale unter sich bleiben, wird kein Rassist überzeugt. Gegen die Angriffe der Autoritären helfen keine Willkürmaßnahmen, die selbst undemokratisch sind. Sondern nur eine klar artikulierte Haltung. Und der Mut, den Menschenfeinden vor Ort entgegenzutreten.
Wann und wo könnte man besser damit anfangen als am 3. Oktober mit einer humanistischen Rede dort, wo es am wichtigsten ist: in Dresden. Mach es, Gauck!
Oder doch absagen? Lesen Sie mehr dazu im Kommentar von Anja Maier
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