Kommentar Einheitsabitur: Eine für alle
Gemeinsame Standards für das Abitur sind nur ein erster Schritt. Gemeinsame Lehrpläne und eine einheitliche Schulstruktur wären besser.
M anchmal verdienen selbst die Kultusminister etwas Lob, bei aller Kritik am Klein-Klein der deutschen Bildungspolitik. Als eine Lehre aus dem Pisa-Schock haben sie Standards erarbeiten lassen und damit bundesweit verbindlich festgelegt, was Schülerinnen und Schüler können müssen.
Für die Grundschule, den Haupt- und Realschulabschluss gibt es diese Bildungsstandards bereits. Jetzt haben die sonst so zerstrittenen Schulpolitiker festgelegt, was ein Abiturient in den Fächern Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen können muss. Gut so. Gut auch, dass die Standards auf Kompetenzen zielen und nicht auf paukbares Wissen. Deutschland bekommt endlich ein Zentralabi, ein zaghaftes zwar, das nicht so heißen darf, aber immerhin.
Auf den ersten Blick scheint das den Wünschen vieler Eltern, Lehrer und Schüler entgegenzukommen. Laut Umfrageergebnissen sehnen sie sich mit überwältigender Mehrheit nach einem bundesweit einheitlichen Schulsystem. Zu Recht. Es ist schlicht unfair, wenn derselbe Abschluss in Berlin etwas anderes bedeutet als in Baden-Württemberg. Es ist nervig, wenn Abiturienten aus Bayern auf ihre Altersgenossen im Bremen herabblicken, weil denen das Abi ja angeblich geschenkt wird. Mal abgesehen davon, dass solche Überheblichkeit nicht auf Fakten, sondern oft auf reinem Gutdünken basiert. Einheit tut not.
Das Problem ist nur: Der Beschluss der Kultusminister täuscht darüber hinweg, dass die Länder schulpolitisch eher auseinanderdriften, statt sich anzunähern. Die Verkürzung der Gymnasiumszeit auf 8 Jahre etwa hat dazu geführt, dass die Oberstufe im einen Land zwei, im anderen drei Jahre dauert. Daneben gibt es Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen, Oberschulen, Werkrealschulen – nie war die Fülle größer. Und im Zweifel überlässt man es den Städten, die richtige Schulform auszuwählen.
ist Bildungsredakteur der taz.
Auf diese Strategie setzen gerade grüne Bildungspolitiker – weil man sich wütende Elternproteste so vom Hals halten kann. Die Folge: Früher war es schwierig, von einem Bundesland zum anderen zu wechseln – heute kann schon der Umzug in den Landkreis nebenan zum Problem werden.
Gemeinsame Standards sind eine halbherzige Lösung. Es braucht auch gemeinsame Lehrpläne, vergleichbaren Unterricht und nicht zuletzt: eine einheitliche Schulstruktur. Am besten mit einer Schule für alle in ganz Deutschland.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier