Kommentar Einbürgerungstests: Deutsche Verschlossenheit
Integration aber kann nur gelingen, wenn möglichst viele dazugehören. Deshalb muss man werben für die deutsche Staatsbürgerschaft. Und nicht eine zusätzliche Hürde aufbauen.
Diesmal scheint das Bundesinnenministerium Maß zu halten. Der Einbürgerungstest, der ab September bundesweit verpflichtend wird, überprüft Grundkenntnisse in Sachen parlamentarischer Demokratie, deutscher Geschichte und Alltagsleben hierzulande. Gesinnungsfragen gibt es - soweit man bislang weiß - nicht. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zum umstrittenen "Muslim-Test" aus Baden-Württemberg, der ja die Frage nach einer bundesweit einheitlichen Überprüfung zuallererst auf die Tagesordnung gesetzt hat. An ihm übrigens will das Land auch nach der Einführung des neuen Tests und trotz massiver Kritik festhalten. Aber auch der neue bundesweite Test ist ein falsches Signal.
Oberflächlich betrachtet ist zunächst fraglich, ob ein neuer Staatsbürger wirklich wissen muss, wie viele Bundesländer es gibt oder worin die Aufgabe der parlamentarischen Opposition besteht. Oder was Willy Brandt mit seinem Kniefall in Warschau ausdrücken wollte. Natürlich ist es wünschenswert, dass dieses Wissen Allgemeingut ist. Aber eine Bedingung dafür, Deutscher zu werden, sollte es nicht sein.
Entscheidender aber ist die Frage nach dem Umgang mit Einbürgerung. Steht sie, wie Baden-Württemberg stets betont, am Ende der Integration? Oder sollte sie nicht viel eher ein Mittel auf dem Weg dahin sein? Fest steht: In Deutschland klappt es nicht gut mit der Einbürgerung. Seit 2001, nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts samt der Absage an den Doppelpass, sind die Zahlen nicht angestiegen, sondern zurückgegangen. Noch immer leben fast 7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund ohne deutschen Pass hier. Sie haben weder dieselben Rechte noch dieselben Pflichten wie Deutsche - und können nicht gleichberechtigt mitmachen im gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik.
Integration aber kann nur gelingen, wenn möglichst viele dazugehören. Deshalb muss man werben für die deutsche Staatsbürgerschaft. Und nicht eine zusätzliche Hürde aufbauen auf dem Weg dahin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pressekonferenz in Mar-a-Lago
Trump träumt vom „Golf von Amerika“
Ende der Faktenchecks bei Meta-Diensten
Nicht abhauen!
Habeck-Werbung in München
Grüne Projektion
Forderungen von Donald Trump
5 Prozent Verteidigungsausgaben, 100 Prozent Ablehnung
Verkehrsranking
Das sind die Stau-Städte
Bürgergeld-Populismus der CDU
Die Neidreflexe bedient