Kommentar EU-Parteitag der Linkspartei: Weg mit der Buchhaltermentalität
Mühsam hat sich die Linkspartei zu ein bisschen mehr Europa-Freundlichkeit durchgerungen. Gegen Rechts gewinnt man mit so wenig Herz aber nicht.
I n knapp drei Monaten werden 400 Millionen Menschen in der EU ein neues Parlament wählen. Die beiden großen Fraktionen, Konservative und Sozialdemokraten, werden laut Umfragen die absolute Mehrheit verlieren, es kommt künftig wohl auf die Kleinen an.
Gerade noch rechtzeitig hat es die Linkspartei geschafft, sich auf ihrem EU-Parteitag von ihrem bisherigen, schrill EU-kritischen Kurs zu verabschieden und zu signalisieren, dass sie die EU als Plattform sieht, um ihre Forderungen nach Mindestlöhnen, Weltfrieden und Klimaschutz für alle durchzusetzen. Es hat viel innerparteilichen Zuredens bedurft, um einen Teil jener GenossInnen zu überzeugen, die die EU für das absolut Böse halten. Insofern ist das Wahlprogramm mit seinem gemäßigt EU-freundlichen Sound schon ein kleiner Sieg. Aber das wird nicht reichen.
Die Linke muss klarer, profilierter werden, wenn sie, wie sie gern betont, tatsächlich ein Bollwerk gegen rechts sein will. Sie muss ihr bequemes, innerparteilich prima zu verkaufendes „Ja, aber“ zugunsten eines beherzten „Ja, und zwar genau für das und das“ aufgeben. WählerInnen gewinnt man nicht mit verschwiemelter Rhetorik. Die Linke muss besser erklären, an welcher Stelle sie die EU verändern, aber auch was sie bewahren möchte.
So hätte man auf dem Parteitag mehr an klaren Botschaften und Zukunftsentwürfen arbeiten sollen, statt sich in kleinteiliger Wortexegese zu ergehen. Künftig wird es darauf ankommen, zu vermitteln, dass und wie Mindestlöhne in der EU durchgesetzt werden sollen. Das geht nur, wenn die Partei offen ist für Kompromisse. Sie muss verstärkt mit Sozialdemokraten und Grünen zusammenarbeiten. Sich an beschlossene Formulierungen im Wahlprogramm zu klammern ist da nicht hilfreich.
Die Linke muss ihre Buchhaltermentalität ablegen. Und mehr Begeisterung wecken. Aber auf dem Parteitag herrschte bestenfalls Selbstzufriedenheit. Gegen Ressentiments der Rechten kommt man nicht mit Hunderten Seiten Papier an. Dazu braucht es auch Herz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit