Kommentar EU-Kommissionspräsident: Wie viel Macht hat Juncker?
Der designierte EU-Kommissionspräsident sammelt mit seinen Versprechen viele Sympathiepunkte. Dass er sie einlösen kann, ist zu bezweifeln.
M it den Anhörungen im Europaparlament ist das so eine Sache. Erst versprechen die künftigen Kommissare allen Fraktionen, was sie hören wollen. Dann machen sie eine ganz andere Politik. Oft folgen sie dabei nicht den EU-Abgeordneten, sie tanzen nach der Pfeife der Regierungen in Berlin, Paris und London.
So war es jedenfalls bei José Manuel Barroso, dem noch amtierenden Chef der Brüsseler Behörde. Ein soziales Europa hat er versprochen, eine neoliberale, letztlich asoziale Politik hat er gemacht. Ausgerechnet sein eigenes Land, Portugal, ist an der verfehlten Europapolitik der letzten Jahre zerbrochen. Wird es mit Jean-Claude Juncker genauso laufen? Auch Juncker hat allen das Blaue vom Himmel versprochen. Für die Abschaffung der Troika, aber gegen ein Ende der Austeritätspolitik. Für den Freihandel mit den USA, aber gegen Sondergerichte für US-Konzerne – und so weiter und so fort. Es war für jeden etwas dabei.
Die Grünen haben ihm dafür sogar Beifall gespendet. Zu Recht – denn Juncker hat tatsächlich eine gute Figur gemacht. Man kann es ihm auch durchaus abnehmen, wenn er sich für grüne und soziale Anliegen starkmacht. Der Mann ist kein Neokonservativer wie Barroso, sondern eher schon ein Sozialliberaler vom alten Schlage.
Das Problem liegt bei den Hauptstädten. Sie wollen Juncker nicht nur am Gängelband führen, wie bisher schon Barroso. Sie wollen ihn auch noch auf eine „strategische Agenda“ verpflichten, die beim letzten EU-Gipfel beschlossen wurde. Und diese Agenda ist nicht rot-grün – sie setzt die neoliberale Politik fort. Schon bei der Nominierung der EU-Kommissare dürfte sich zeigen, wie viel Macht Juncker real hat. Die Kommissare werden nämlich von den EU-Regierungen benannt. Berlin will Energiekommissar Günther Oettinger recyceln – es soll also alles so bleiben, wie es ist.
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