Kommentar EU-Kommission: Nur eine halbe Revolution
Erstmals haben die Abgeordneten im EU-Parlament mit Jean-Claude Juncker ihren Kandidaten durchgesetzt. Ein voller Erfolg ist es dennoch nicht.
W enn sich das Europaparlament diese Woche zu seiner konstituierenden Sitzung in Straßburg trifft, dann gibt es etwas zu feiern. Erstmals haben die Abgeordneten ihren Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten, Jean-Claude Juncker, durchgesetzt. Nach langem Zögern und gegen massiven Widerstand wurde Juncker vom Europäischen Rat nominiert – ein historischer Erfolg für das Parlament.
Manche sprechen sogar von einer demokratischen Revolution. Denn mit Juncker wurde nicht irgendein Politiker nominiert, sondern der Sieger der Europawahl. Er wurde nicht im Hinterzimmer ausgekungelt, sondern war Spitzenkandidat der konservativen Parteienfamilie EVP, der auch CDU und CSU angehören. Zusammen mit SPD-Vormann Martin Schulz hat er den Wahlkampf revolutioniert.
Doch die Revolution ist unvollendet, droht auf halbem Weg stecken zu bleiben. Angela Merkel hat schon angekündigt, dass sie und die anderen EU-Chefs noch einmal über das neue Nominierungsverfahren reden wollen. Vor allem der britische Premier ist wild entschlossen, eine Konterrevolution anzuzetteln und das Parlament in die Schranken zu weisen.
Das Rollback hat schon begonnen. Bei ihrem Gipfel am vergangenen Freitag haben die Chefs eine „strategische Agenda“ beschlossen, die Juncker die Hände binden soll. Noch bevor er endgültig vom neuen Europaparlament gewählt wird, soll der Kandidat auf ein neoliberales, britisch inspiriertes Arbeitsprogramm verpflichtet werden. Auch das ist ein Novum in der EU-Geschichte. Juncker soll zum Erfüllungsgehilfen des Rats degradiert werden. Das darf er sich nicht gefallen lassen – sonst ist die demokratische Revolution in der EU gescheitert, bevor sie richtig begonnen hat.
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