Kommentar EU-Flüchtlingsverteilung: Fehlende Solidarität
Innenminister Thomas de Maizière drängt nicht weiter auf Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen. Doch Abschottung allein ist keine Lösung.
S olidarität wird in der EU kleingeschrieben, wenn es um die Flüchtlings- und Asylpolitik geht. Polen und Ungarn wollen gar keine Asylbewerber aufnehmen, die meisten anderen EU-Länder erfüllen ihre Quote nicht. Selbst Deutschland hinkte lange hinter dem Plansoll hinterher.
So ist es nur konsequent, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière nun die Reißleine zieht. Die Bundesregierung sei bereit, die Debatte über eine gleichmäßigere Verteilung von Flüchtlingen vorerst auszusetzen, sagte er bei einem EU-Treffen in Sofia.
Man kann ihn irgendwie verstehen. Es scheint wenig sinnvoll, über ein Thema zu reden, bei dem sich die einen taub stellen und die anderen nur so tun, als ob. Also vertagt man die leidige Quoten-Debatte, um andere wichtige Aspekte der Asylpolitik zu regeln.
Bemerkenswert ist allerdings, dass der Rückzieher ausgerechnet jetzt erfolgt – zehn Tage nach der vorläufigen Einigung auf Koalitionsverhandlungen. Ist das mit der SPD abgesprochen? Bisher hat Parteichef Martin Schulz doch immer besonders vehement Solidarität eingefordert.
Osteuropäer sind nicht mehr allein
Und ist es nur ein taktischer Schwenk, um die Gemüter zu beruhigen – oder eine Kapitulation vor den Abschottungspolitikern? Hat vielleicht sogar Österreich den Ausschlag gegeben, wo jetzt Rechtsnationalisten an der Regierung beteiligt sind, die offen gegen Flüchtlinge hetzen?
Fest steht, dass sich mit dem Machtwechsel in Wien die Gewichte verschoben haben. Plötzlich sind die Osteuropäer nicht mehr allein. Auch der neue Kanzler Sebastian Kurz hat sich für ein Ende der Quoten eingesetzt. In Berlin hat dies offenbar Eindruck gemacht.
Es reicht jedoch nicht, die neuen Realitäten achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen – und die Debatte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Die Zeit drängt. Schon im Juni soll die seit 2015 überfällige große Reform der EU-Flüchtlingspolitik stehen.
Wenn das noch irgendwie gelingen soll – die Chancen stehen schlecht –, muss die neue Bundesregierung jetzt sagen, welche Strategie sie verfolgt. Will sie zurück zum gescheiterten System von Dublin, bei dem die Last einzig und allein auf den Ankunftsstaaten in Südeuropa liegt?
Und auch die Verweigerer aus Osteuropa und Österreich müssen sich erklären. Von Kurz & Co würde man schon gern wissen, wie sie sich Solidarität in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ohne Quoten vorstellen. Abschottung allein, so viel muss klar sein, ist keine Lösung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken