Kommentar EU-Entsenderichtlinie: Ein Test für die GroKo
Die Ausbeutung der Arbeiter aus dem Osten ist ein soziales und ein politisches Problem. Ihre Rechte werden zwar gestärkt. Doch es gibt zu viele Schlupflöcher.
I m EU-Jargon nennt man es Entsendung. In der Praxis bedeutet es oft nichts anderes als Ausbeutung, was skrupellose Konzerne und Subunternehmer mit ihren Arbeitnehmern aus Polen oder Bulgarien anstellen. Zu Tausenden werden die „entsandten“ Arbeiter auf Baustellen in Deutschland und Frankreich geschickt, wo sie dann zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen.
Kontrollen gibt es viel zu wenige, und wenn sie doch einmal stattfinden, ist oft niemand für Verstöße haftbar zu machen. Denn die Verantwortlichen verstecken sich hinter Tarnfirmen und Paragraphen. Im Dickicht aus nationalen Gesetzen und EU-Recht hat sich schon mehr als ein Kontrolleur verheddert.
Es war deshalb höchste Zeit, die europäische Entsenderichtlinie zu überarbeiten und dem Sozialdumping einen Riegel vorzuschieben. Die sozialistische Regierung in Paris hatte völlig Recht, das Thema ganz hoch auf die Tagesordnung der EU-Arbeitsminister in Brüssel zu setzen.
Die Ausbeutung der Arbeiter aus dem Osten ist nämlich nicht nur ein soziales, sondern auch ein politisches Problem. Euroskeptiker und Rechtsextremisten kochen längst ihr Süppchen auf Kosten der Leiharbeiter, bei der Europawahl im Mai könnte der französische Front National kräftig absahnen.
Doch die Einigung im Ministerrat ist kein großer Wurf. Zwar werden die Kontrollen verschärft, auch die Haftung der Arbeitgeber wird etwas straffer geregelt. Doch der Kompromiss, gegen den sich vor allem die üblichen Verdächtigen Großbritannien und Polen gestemmt hatten, enthält zu viele Schlupflöcher.
Er muss daher nachgebessert werden. Dies kann im Europaparlament geschehen, das den Vorschlag noch absegnen muss. SPD und CDU könnten bei dieser Gelegenheit an einem Strang ziehen. Im Koalitionsvertrag haben sie nämlich versprochen, die sozialen Rechte der Arbeitnehmer in Europa genauso ernst zu nehmen wie die Unternehmer-Freiheit.
Am Beispiel der entsandten Arbeitnehmer können, ja müssen sie beweisen, dass sie es ernst meinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz