Kommentar ESC-Austragungsort: Wohnen als Ego-Trip

Ein großes Hamburger Nachrichtenmagazin schrieb fiese Dinge über Düsseldorf. Dabei sind Diskussionen darüber, was Weltstadt ist und was nicht, im Grunde überflüssig.

Liegt die Betonung wirklich auf Dorf? Düsseldorf am Rhein. Bild: AP

BERLIN taz | Wenn der Spiegel über etwas sauer ist, dann richtig. Und dass der Eurovision Song Contest 2011 weder in Hamburg (wo der Spiegel sitzt) noch in Berlin, sondern schlussendlich in Düsseldorf stattfinden durfte, war eine Schmach, die man bei Deutschlands größtem Nachrichtenmagazin anscheinend unmöglich dulden konnte oder wollte.

Also setzte es was. Zuerst in der Printausgabe, in der die Landeshauptstadt NRWs als "600.000-Seelen-Kolonie, bevölkert von Altbiertrinkern und überkandidelten Millionärsgattinnen" durch den Kakao gezogen wurde. Genüsslich labt man sich da an einem Düsseldorfer Ehepaar, dessen ungelenke Versuche, Stefan Raab für eine Stadttour zu gewinnen, von Anfang an scheitern müssen. Kleine Leute spielen Weltstadt - wie putzig.

Da der Spiegel eine eigenständige Onlineredaktion unterhält, dürfte das Äquivalent im Netz nicht fehlen. Unter der Überschrift "Dorf-Disco" wurde exakt das Ressentiment ausgeteilt, das hiesige Debatten um deutsche Großstädte oft bestimmt: Nur Berlin und Hamburg sind Städte von Weltrang. Der große Rest - Köln, Hannover, Frankfurt, Stuttgart und alle anderen - sind alle langweilig und können gar nichts. Am besten gleich abreißen!

GORDON GERNAND arbeitet als freier Autor für die Onlineredaktion der taz.

Wie gesagt: Ob wirklich verletzte Eitelkeit hinter diesem verbiesterten, hochnäsigen Stadt-Bashing steckt, kann nur vermutet werden. Tatsache ist, dass der Spiegel im Großraum NRW bald ein paar Leser verlieren könnte. Auf Facebook formierte sich prompt eine passende Protestgruppe unter dem Titel "Gegen das Düsseldorf-Bashing im Spiegel". Ein User schrieb trotzig: "Mitleid bekommt man geschenkt. Neid muss man sich hart erarbeiten!"

Man muss Düsseldorf nicht mögen, um diese ganze Nummer blöd zu finden. Denn hier geht es ums Prinzip.

Keine Überbevölkerung, kein Smog

Wer in einer Stadt wie Düsseldorf wohnt - oder Stuttgart, Bremen, Hannover, Leipzig - der hat es gut. Im Grunde sogar sehr gut. In diesen Städten haben die meisten Menschen eine Lebensqualität, die geschätzte 99,8 Prozent auf der Erde gerne hätten. Es gibt funktionierende Infrastrukturen. Gepflegte Grünflächen. Keine Überbevölkerung, keinen Smog. Ein mindestens akzeptables Kultur- und Freizeitangebot. Man kann sich auch nachts ohne Angst auf die Straße trauen. Das ist ist mehr, als unzählige andere Menschen auf dieser Welt jemals haben werden.

Es gibt natürlich Zeitgenossen, denen das bei weitem nicht genügt. Sie schauen nicht nach unten, sondern nach oben: New York, London, Paris! Was kann denn da in Deutschland mithalten? Höchstens Berlin und Hamburg. München vielleicht, Frankfurt nur mit viel gutem Willen (weil Wirtschaftsstandort), Köln gar nicht. Und eigentlich, ja eigentlich sieht selbst die Hauptstadt nachts aus wie ein dunkles Dorf, oder?

Ganz im Ernst: Bei solchen Diskussionen kann man die Ohren ruhig auf Durchzug schalten. Denn sie sind das Überflüssigste, was einem an unintelligentem Diskurs aufgezwungen werden kann.

Sehen wir einmal von der Tatsache ab, dass sich selbst im reichen Deutschland viele Menschen ihren Wohnort nicht immer aussuchen können und einfach mit dem leben müssen, was sie haben. Was zeichnet dann eine Stadt von Welt aus? Die politische, ökonomische oder historische Bedeutung? Die kulturelle Vielfalt oder der Partyfaktor? Eine bestimmte Mindestanzahl an Wolkenkratzern? Es ist wohl alles ein bisschen.

Aber jetzt die Preisfrage: Wie wichtig ist das? Sicherlich gibt es genug Menschen die das erhabene Gefühl brauchen, in einer Weltstadt zu leben - wie die Luft zum atmen. Doch ist das nicht alles egal, solange sich der Mensch dort wohl fühlt, wo er ist?

Naseweise Weltenbummler

Noch schlimmer als arrogante Berliner und Hamburger sind die naseweisen Weltenbummler, für die es in diesem Land gar keine Städte von Weltrang gibt. Berlin: ein abgewracktes Partydorf. Hamburg: langweilig und Dauerregen. München: ein Schicki-Micki-Nest im gefühlten Ausland. Köln: das Neapel vom Rhein, nur ohne Vulkan. Frankfurt: "Bankfurt".

Sehen wir es doch mal anders herum. New York, London und Paris, zum Beispiel, sind alles tolle und interessante Städte. In New York erstirbt das Nachtleben spätestens ab 4 Uhr früh, da kann man in Berlin nur drüber lachen. In Paris ist nachts das einzige öffentliche Verkehrsmittel das Taxi, da freut sich der deutsche Großstädter doch über seine im internationalen Vergleich hervorragenden Verkehrsstrukturen. Wer in London wohnen will, dem kann man nur zurufen: Viel Spaß beim Miete zahlen!

Wer das Wohnen in einer Stadt nicht mit einem Ego-Trip verwechselt, wer sich nicht von Globetrotter-Gemaule und giftigen Spiegel-Attacken aus der Ruhe bringen lässt, wer sich nicht von solch doofen Debatten und überflüssigem Gejammer auf hohem Niveau anstecken lässt, wird wirklich glücklich im Leben. Selbst in Düsseldorf.

Am besten bringt es der Ruhrpottler auf den Punkt. Der steht bei Sonnenuntergang mit einer Flasche Bier auf der Brücke und sagt: "Komm, woanders is´auch scheiße."

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