Kommentar Dylan und Kroatien: Lynchatmosphäre an der Adria
Gegen Bob Dylan wurde Anzeige erstattet, weil er die Kroaten mit den Nazis verglich. Dabei gibt es derzeit viele Gründe, dem Land Faschismus vorzuwerfen.
D ass man in Kroatien nicht nur der schönen blauen Adria, Ferkeln am Spieß und Mandolinengezupfe begegnet, sondern auch offen faschistischen Weltanschauungen, ist keine Weltneuheit. Dass die patriotischen Kroaten nun ausgerechnet Bob Dylan vor Gericht bringen, weil der angeblich alle Kroaten zu Kriegsverbrechern erklärt hat, ist allerdings eine Nachricht, über den sich der gemeine Kroate eigentlich so recht nicht freuen kann, zeugt sie doch zunächst von einer riesigen Unsouveränität dieses kleinen, auf seine Souveränität so stolzen Landes.
Dylan hatte in einem Interview mit der französischen Ausgabe des Rolling Stone im vergangenen Jahr die Kroaten mit den Nazis verglichen: „Wenn du Ku-Klux-Klan-Anhänger als Vorfahren hast, spüren Schwarze das, sogar heute noch. Genauso wie Juden Nazi-Blut und die Serben kroatisches Blut spüren können.“ Der „Rat der Kroaten in Frankreich“ stellte daraufhin Anzeige wegen Beleidigung und Volksverhetzung, wegen der nun die französische Staatsanwaltschaft gegen den 72-jährigen Dylan ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.
Während des Zweiten Weltkriegs war Kroatien ein faschistischer Staat. Das Ustascha-Regime ermordete Hunderttausende Juden, Serben, Sinti, Roma, kroatische und serbische Partisanen in Konzentrationslagern. Nach der Sezession Kroatiens aus der jugoslawischen Föderation 1991 wurden Hunderttausende Serben vertrieben.
Die Analogie Dylans ist also angesichts dieser historischen Tatsachen alles andere als illegitim. Dass alle Kroaten in einen Topf geschmissen werden, mag den gemeinen Kroaten ärgern. Dass der gemeine Kroate aber derzeit wieder alles dafür tut, dass man ihn mit großer Lust in einen solchen gemeinsamen Topf schmeißen möchte, verschweigt der Rat der Kroaten.
Vergleiche in allen Medien
So stimmten am Sonntag 65 Prozent in einer bindenden Volksabstimmung gegen die Homo-Ehe. Journalisten, Politiker und Prominente des Landes kommentierten dieses Ergebnis mit den Worten „Faschismus“. Das populäre Nachrichtenportal Index hatte nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses auf seiner Startseite die kroatischen Flaggenfarben mit einem darauf montierten Hakenkreuz im Schachbrettmuster gezeigt und darunter geschrieben: „Kroatien hat wie damals entschieden: 65 Prozent für Diskriminierung“.
Gegen den Portalgründer und verantwortlichen Redakteur Matija Babic, der dafür sofort zur Polizei zitiert wurde, wird nun wegen des gleichen Vorwurfs, der auch Bob Dylan trifft, ermittelt: Aufruf zum Hass.
Das mit dem Faschismus mag man überzogen finden, da Homosexuelle in Kroatien längst nicht mit einem rosa Winkel herumlaufen müssen. Doch nicht nur Matija Babic spricht von „offener Homophobie“ und „Lynchatmosphäre“. So gut wie alle Medien des Landes, darunter die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt HRT und die größte Tageszeitung Jutarnji List, hatten vor und nach dem Referendum ähnliche Vergleiche gezogen.
„Der Faschismus erhebt seinen Kopf in Kroatien“, hatte erst vor einigen Monaten der ehemalige kroatische Staatspräsident Stipe Mesic gesagt. Und der Auftritt des kroatischen Fußballnationalspielers und Ex-Herthaner Josip Simunic gab ihm vor wenigen Wochen recht. Nach dem erfolgreichen WM-Qualifikationsspiel griff Simunic zum Mikro und sang den Schlachtruf der faschistischen Ustascha, „Za dom spremni!“ („Für die Heimat bereit“). Tausende Stadionbesucher grölten mit, ohne dass die Polizei einschritt oder der Spieler eine Rüge des Fußballverbandes fürchten muss.
Der Rat der Kroaten in Frankreich sagt nun, Dylan brauche nicht verurteilt zu werden. Es reiche, dass er sich beim kroatischen Volk entschuldigt. Diesen Gefallen wird Bob Dylan den patriotischen Kroaten wohl nicht tun. Und wären die kroatischen Patrioten wirklich gegen Rassismus und Volksverhetzung, würden sie Leute wie Simunic und nicht Bob Dylan anzeigen. Aber Simunic ist eben Kroate. Und Robert Allen Zimmerman Jude.
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