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Kommentar Durststreik in BerlinEin unsicherer Kontinent

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Sie sind in Sicherheit, aber sie spielen mit ihrem Leben: Welche Sprache sprechen die Hunger- und Durststreiks der Asylbewerber?

Flüchtlinge erfahren die Unsicherheit ganz konkret. Bild: dpa

E s ist ein gewagtes Mittel und sicher kein Spaß: Mit einer radikalen Form des Protests wollen 28 Asylbewerber in Berlin auf ihre Situation aufmerksam machen. Seit Montag verweigern sie neben der Nahrungs- nun auch die Wasseraufnahme. Mit diesem Durststreik fordern sie die Anerkennung ihrer Asylanträge. Wer einen solchen Schritt wagt, begibt sich auf ein ethisch vermintes Terrain.

Denn ist es angesichts der zahllosen Opfer vor den Küsten Europas nicht zynisch, sich in Deutschland – also gerettet, an Land – nun selbst auf den symbolisch aufgeladenen Pfad des Todes zu begeben? Oder ist es, umgekehrt, gerade die Pflicht dieser Flüchtlinge, als Botschafter der Ausgeschlossenen mit ihren schärfsten Waffen das Leid um die migrationspolitische Katastrophe Europa ins Zentrum des Kontinents zu tragen?

Weder noch. Wer jetzt fragt, ob es legitim ist oder nicht, mit einem solchen Schritt Aufmerksamkeit zu erregen, hat die Dimension der Flüchtlingskatastrophe in Europa nicht erfasst. Der Durststreik treibt symbolisch auf die Spitze, was die Krankheit des europäischen Kontinents ausmacht: Es ist ein Kontinent, der politisch verunsichert ist.

Einerseits erzielen rechtspopulistische Parteien bei Wahlen europaweit Rekordergebnisse, andererseits ertrinken die Menschen in ungezählten humanitären Katastrophen vor den Toren des Kontinents. Politiker in ganz Europa finden ganz offenbar keine Antwort auf diese Unsicherheit, die unüberschaubar erscheint. Europa hat selbst keine Antwort auf seine angebliche humanitäre Idee.

Es gibt aber Menschen, die diese Unsicherheit nicht abstrakt, sondern am eigenen Leib erfahren. Das sind jene Flüchtlinge in Europa, die sich verlassen fühlen und isoliert. Ihre Schreie gehören dorthin, wo sie sind: ins Zentrum Europas, wo niemand sie hören will.

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Martin Kaul
Reporter
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10 Kommentare

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  • ach und außerdem: Man sehe mal den Film "Let's make money" Da werden die Ursachen für Verarmung noch einmal genauer beleuchtet.

  • @ KLaus u.a: Die Leute kommen, weil unser Wirtschaftssystem ihnen Chancen nimmt (es ist so, ob man das sehen will oder nicht), und weil unsere Medien ihnen den westlichen Konsumismus als Zivilisation und Lebensqualität vorführen. Dazu kommt noch Kriegsangst und Umweltprobleme. Die Leute kommen, um ihre Verwandten im Herkunftsland zu unterstützen. Die Leute kommen, weil sie ihre Situation in ihren Ländern nicht ändern können, weil sie zu schwach sind, oder nicht wissen wie. Ob sie uns sympathisch sind oder nicht, sie sind in Not, die wir oft nicht nachvollziehen können. Das muss auch gar nicht sein, was sein muss, ist eine Politik, die endlich Chancen jenseits von Überproduktionszwang, Renditewahn, Kriegswirtschaft und outgesourceter Umweltprobleme einräumt, und zwar am besten schon seit letzter Woche.

  • Diese Menschen begeben sich in einen Kampf um ihre Interessen durchzusetzen, mit dem höchsten Einsatz, den ein Mensch einsetzen kann: Ihr eigenes Leben.

    Wie soll ein Land darauf reagieren? Die Augen der Welt auf dieses Szenario gerichtet, bleibt der Nation nichts übrig als nachzugeben oder als unmenschlich zu erscheinen.

    Das ist seitens der Asylbewerber sehr tapfer und ..... nicht weniger als politische Erpressung!

    Erpressung ist ein terroristischer Akt und eine Nation darf nicht mit Terroristen verhandeln, sonst gibt sie ihre Souveränität preis. Es ist ein Dilemma, wäre ich als Verantwortlicher vor Ort , täten mir diese Menschen natürlich leid, bedauernswerte Einzelschicksale, und ich würde für ihr Bleiberecht sorgen. Aber das löst das Grundproblem nicht.

  • HB
    Harald B.

    Goebi:

    Laut Bundesamt für Migration wurden von 12614 Asylanträgen von Jan-Juni 2013 12.266, also mehr als 97%, abgelehnt. Das meinte ich mit der Formulierung die "meisten".

    Die deutsche Kolonialzeit war kurz und liegt fast 100 Jahre zurück.

  • G
    goebi

    @ Harald B.

    Sie meinten wohl (neo)koloniale Verhältnisse und globale Machtverhältnisse. Deutschland war, auch wenn es hierzulande kaum thematisiert wird, eine Kolonialmacht. Und was Deutschland heutzutage durch seine Wirtschaftspolitik und die sogenannte Entwicklungshilfe zu den verhältnissen im globalen Süden beiträgt, dürfte hinlänglich bekannt sein.

    Die Behauptung, der zufolge die meisten AsylbewerberInnen Wirtschaftsflüchtlinge sind, ist eine glatte Lüge. Wer sich nur ein kleines bisschen mit dem Asylverfahren und der in diesem Rahmen stattfindenden Beurteilung einer glaubwürdigen Vorbringung auskennt, weiß, dass der Ausgang ebendieses in 99,9% von der reinen Willkür einer einzigen (!) Person abhängt.

    • K
      Klaus
      @goebi:

      Die "Kolonialmacht Deutschland" ist ein bisschen lächerlich. 3 Länder für 30 Jahre beansprucht. Ganz zu schweigen davon das es seit dem ersten (!) WK nicht mehr ist.

       

      An diesem Aufplustern, sieht man wie lächerlich das ist. Da könnten die Spanier auch ihre aktuelle Rezession gleich auf die Mauren schieben, das ist auf ähnlichem Niveau.

  • HB
    Harald B.

    Der Kommentar geht am Thema vorbei.Es fehlen völlig:

    - Schuld der afrikanischen Länder und ihrer Eliten an der Katastrophe (bei Asien hat es auch geklappt)

    - Schuld der Schlepperbanden, die riesige Gewinne einfahren,

    - die meisten Asylbewerber sind reine Wirtschaftsflüchtlinge und erfüllen gar nicht die Voraussetzungen für politisches Asyl.

     

    Aber es ist ja immer gut bei der taz, Europa oder Deutschland ein schlechtes Gewissen und eine Schuld einzureden.

  • K
    Klaus

    Ich finde das ganze Fordern, Fordern, Fordern der Einwanderer ehrlich gesagt in der Größenordnung unangemessen.

    Es ist die hiesiege Gesellschaft, vertreten durch Politik und Verwaltung, die entscheidet wer Asyl erhällt, wie die regeln dafür sind oder theorethisch auch, ob man überhaupt Asyl hat oder ob man es im Ausland zu beantragen hat wie Australien das macht. Wenn das mit den Protesten weitergeht, dann dauert es noch 2 Jahre und die Mehrheit hier sagt das sie gar keine Asylanten haben will, bevor die vor den Rathaus sitzen und rumdemonstrieren.

    Und in der Debatte gefällt mir nicht die Richtung: Anstatt zu sagen wie böse Europa ist, weil es nicht genug Asylanten aufnimmt, könnte man auch mal sagen wie gut es ist, das es welche aufnimmt. Stattdessen kommt man dann immer mit der Kolonialgeschichte oder mit Agrarsubventionen, merkt dann aber gleichzeitig an das vor allem die fliehen die es sich leisten können - also ohne schädlche Agrarsubventionen würden vielleicht vor Lampedusa noch mehr ertrinken. Natürlich ist das Argument konstruiert. Aber genauso konstruiert ist es zwanghaft Europa die Schuld zu geben, daran das Leute aus Iherer Heimat wegmüssen.

     

    Ich habe jedenfalls nur Bedingt Lust leute in Europa aufzunehmen, die mit Vorwürfen herkommen. Die können Europa besser von Ihrer Heimat aus hassen. Die 60 Millionen Briten reichen mir als Europahasser in Europa.

  • Es gibt keine "Abwehrperfektion". Das einzige, was allen Fluechtlingen und Europaeern sowie auch den USA wirklich die Situation handhabbar macht, ist eine Korrektur der ungerechten Wirtschaftsstrukturen in Industrie und Landwirtschaft im internationalen Handel. Wer das wissen will, kann das auch schon seit ein paar Jahrzehnten. Nun kommen die Folgen der europaeischen Versaeumnisse. Wohlstandschauvinismus wird einen fuechten Besen daran aendern, auch nicht mit Gewalt.

    • K
      Klaus
      @aujau:

      Die Leute kommen immer mehr her, weil Sie reicher werden, nicht weil sie ärmer werden.