Kommentar Deutsches Rekordwachstum: Kein goldenes Jahrzehnt
Die Wirtschaft wächst rasant und erklimmt neue Rekorde. Aber zu den mathematischen Banalitäten gehört, dass ein gutes Jahr noch kein Jahrzehnt ist.
S teht Deutschland ein "goldenes Jahrzehnt" bevor, wie nicht wenige Investoren euphorisch meinen? Fakt ist: Die Wirtschaft wächst rasant und erklimmt neue Rekorde. Aber zu den mathematischen Banalitäten gehört, dass ein gutes Jahr noch kein Jahrzehnt ist.
Zudem trifft noch eine andere Binsenweisheit zu: Chance und Risiko sind Synonyme. Was heute das Wachstum treibt, kann morgen zur Bedrohung werden. Noch immer verlässt sich die deutsche Wirtschaft allzu sehr auf den Export, der in diesem Jahr die Rekordmarke von einer Billion Euro erreicht.
Eine erste Gefahr wurde während der Finanzkrise überdeutlich: Permanente Exportüberschüsse führen zu einem Kapitalüberschuss, der nirgends sinnvoll angelegt werden kann. Stattdessen werden Kreditblasen in anderen Ländern finanziert. Ob es die Subprimekrise in den USA oder die Hypothekenblase in Irland war - immer gehörten deutsche Banken zu den wichtigsten Kreditgebern.
ULRIKE HERRMANN ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.
Dies hatte nicht nur mit der Ahnungslosigkeit deutscher Manager zu tun; dahinter stand das strukturelle Problem, dass es für die Kapitalüberschüsse aus dem Export keine Verwendung gab. Deutsche Investoren träumen von einem "goldenen Jahrzehnt", wenn sie auf die deutschen Ausfuhrrekorde blicken, stattdessen bereiten sie eine neue Finanzkrise vor.
Zweites Problem: Die deutschen Exportrekorde sind nur möglich, weil es den Euro gibt. Hätten wir noch die D-Mark, wäre sie derart überbewertet, dass die deutschen Waren auf dem Weltmarkt keine Chance mehr hätten.
Doch statt den Euro zu retten, unterminieren ihn viele Deutsche, indem sie darauf hoffen, dass Pleitestaaten wie Griechenland die Euro-Zone bald verlassen. Das "goldene Jahrzehnt" könnte also noch ziemlich unerfreulich werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken