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Kommentar Deutsche Libyen-PolitikFetisch Stabilität

Kommentar von Christian Semler

Seit Beginn des Aufstands in Libyen hat die Regierung Merkel nichts unternommen, um die libysche Freiheitsbewegung zu unterstützen. Kein Wunder, dass Gaddafi voll des Lobes ist.

A ls "vergiftete Freundlichkeit" hat Außenminister Westerwelle das Lob zurückgewiesen, das der Staatsterrorist Gaddafi der deutschen Politik wegen ihrer Zurückhaltung angesichts des Bürgerkriegs in Libyen gezollt hat. Dass Gaddafi mit dieser Dosis Gift reichlich grobschlächtige Spaltungsabsichten verfolgte, ist klar. Die Frage ist nur, ob sein Lob nicht dennoch zu Recht erfolgt ist.

Die deutsche Bundesregierung hat am Mittwoch im Bundestag bekräftigt: "Der Diktator muss gehen." Eindeutige Worte, aber unglaubwürdig. Seit Beginn des Aufstands in Libyen hat die Regierung Merkel nichts unternommen, um die libysche Freiheitsbewegung zu unterstützen. Sie hat keine Erkundungsmission nach Libyen entsandt, um sich ein politisches Urteil über die Aufständischen zu bilden. Stattdessen verlautet bis jetzt aus dem Auswärtigen Amt, man wisse überhaupt nicht, mit wem man reden solle und wer als Demokrat anzusehen sei. Sie hat infolge dessen keine Verhandlungen mit dem provisorischen Nationalrat geführt, hat nichts getan, um diesem Gremium international den Rücken zu stärken, ganz zu schweigen davon, dass sie humanitäre Hilfslieferungen für die Aufständischen unterließ. Statt nach einem Weg zu suchen, wie unterhalb der Schwelle einer militärischen Intervention den Aufständischen in Libyen geholfen werden könne, wiederholte sie nur stereotyp die Warnung, sich nicht in ein militärisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang verwickeln zu lassen. Es geschah nichts, bis Gaddafi zum Gegenangriff ausholte - und die Diskussion im Weltsicherheitsrat über ein Flugverbot gegenstandslos zu werden droht. Die deutsche Skepsis wird zum Verbündeten der Vetomächte Russland und China, die sich aus gutem Grund jeder effektiven internationalen Maßnahme gegen mörderische Diktaturen verweigern.

Das ersehnte Ziel der deutschen Politik heißt Stabilität der arabischen Regierungen am Mittelmeer und im Nahen Osten. Stabilität im Namen der Energiesicherung und einer zuverlässigen Abwehr der Flüchtlingsströme. Aber wird die deutsche Politik diesem Ziel näher kommen, wenn es Gaddafi gelingen sollte, die Aufständischen niederzuschlagen? Wird dann wieder Business als usual in Libyen herrschen und Deutschland sogar ein bevorzugter Partner sein, wie Gaddafi es avisierte? Oder wird eintreten, was die Bundesregierung vermeiden wollte - langwierige Kämpfe, Rückfall in die Stammesgesellschaft, Staatsverfall?

Bild: borrs

CHRISTIAN SEMLER 72, arbeitet seit 1989 für die taz. Für seine Unterstützung der demokratischen Bewegungen im Ostblock erhielt er 2010 von Polens Präsident Komorowski die Dankesmedaille des Europäischen Zentrums der Solidarnosc.

Schon in den 1980er Jahren haben die damaligen Bundesregierungen darin versagt, die Freiheitsbewegungen im sowjetischen Hegemonialbereich zu unterstützen. Auch hier beteten sie den Fetisch Stabilität an, statt zu erkennen, welche Instabilität von den realsozialistischen Regimen ausging. Wie ihnen auch die Freiheitssehnsucht der demokratischen Opposition als Gefährdung des Friedens erschien. Wenn heute Gaddafi obsiegen sollte, so würden auch in den anderen arabischen Staaten die Tyrannen wieder das Haupt erheben. Die Freiheitsbewegungen wären in tödlicher Gefahr. Und den Regierungen des Westens bliebe nur die Verachtung der arabischen Demokraten.

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10 Kommentare

 / 
  • P
    prb

    Die Haltung der Regierung bei der Abstimmung ueber die UN Resolution zu Lybien macht wieder einmal deutlich wie orientierungs-, ja prinzipienlos die deutsche Politik herumeiert. Das waere man ja schon gewohnt, aber jetzt werden sie selbst ihren eigenen politischen Interessen untreu: einen staendigen Sitz im Sicherheitsrat koennen sie sich, fuers erste zumindest, abschminken

  • CA
    Christoph A.

    Danke, Ines Lehmann, Christian Semler und die andere Kommentare dort oben.

    Westerwelle spricht bekanntlich nicht gut Englisch und hat die 'no-fly zone' mit 'moskitofreie Zone' übersetzt - dafür hatten die Deutschen aber bereits 1989 dem lieben Muammar in Rabta eine Senfgas-Fabrik hingestellt. Also was soll der ganze Aufruhr, hat sich Westerwelle gedacht, und wieder seinen Dauer-Klingelton 'Steuern Runter' eingeschaltet.

     

    Wer die Obsession diverser deutscher Regierungen mit Sicherheit statt Freiheit untersuchen möchte, dem könnte man u.a. "Dieter Schenk,BKA - Polizeihilfe für Folterregime" zur Lektüre empfehlen.

    Wie kann auch ein Land, das noch nie eine einzige freiheitliche Revolution zuende gebracht hat (von Leipzig '89 mal abgesehen, auf das wenigstens ein Fünftel unserer Bevölkerung stolz sein kann) - wie kann ein solches Land anderen Freiheit vermitteln?

    Das können wir nur als Teil von Kampagnen wie AVAAZ bzw. als Individuen.

    Wenn wir schon über Freiheit reden - ich hätte gerne das westdeutsche Pendant zur Gauck-Birthler-Jahn Behörde, die endlich die Akten westdeutscher Geheimdienste über die Verfolgung der Linken freigibt (u.a.zu Berufsverboten, Kurras, Buback, Stammheim etc etc).

     

    Lieber 'Sozialist' - ich glaube an die globale Vernetzung, 'souveräne Staaten' hören für mich auf zu existieren, wenn dieser Staat die eigenen Leute massenhaft umbringt, foltert, ihnen die Augen und Zungena ausreisst.

    Colonel Gaddafi - sagen alle anderen Genossen außer Genosse Gaddafi - hatte schon innerhalb kürzester Zeit nach dem Sturz des Königs alle Erwartungen der panarabischen, sozialistischen Bewegung enttäuscht, u.anderem politische Gefangene zu Tausenden erschießen lassen.

     

    Vor ihm haben die Menschen gezittert, Sozialisten eingeschlossen. Und seinen Rat hat er sich bei dem mafiösen Abschaum geholt, der nach Milosevic und Ceaucescu noch übriggeblieben ist.

  • J
    Julius

    wie sagt Hans Christian Ströbele von den Grünen:

     

    "Kriech ist nie eine Lösung".

  • F
    Flipper

    @Friedrich Schröder: Na und Sie sind doch bestimmt schon als Freiwilliger an der Front in Bengasi, ja?

     

    Jedenfalls muss man sich trotz allem für den dtn. Außenminister und die ganze Regierung schämen. Natürlich ist der Hinweis auf das Afghanistan-Abenteuer gerechtfertigt, allein, er passt nicht ganz: In Afghanistan wurde (wird?) versucht einen seit Jahrzehnten auseinandergefallenen Staat mit einer in weiten Teilen archaisch anmutenden Gesellschaft mit großem Aufgebot über Nacht in eine Art Demokratie westlicher Prägung zu überführen. In Bengasi geht es zuallererst mal darum, das ganz große Gemetzel zu verhindern. Und welches Szenario sollte bitteschön zur Notwendigkeit einer Besatzung führen? Bzw. gibt es ein schlimmeres als die Rückoberung Bengasis und des ganzen Rests des Landes? Glaubt hier jemand dass dann auch nur ein einziger der nur im Verdacht steht auf Rebellenseite zu sein am Leben bleibt?

     

    Es ist absolut richtig: Vor militärischen Abenteuern kann nicht genug gewarnt werden, und das nicht erst seit Afghanistan und Irak. Aber spätestens seit Srebrenica und Ruanda kann die Welt dem Morden nicht einfach zusehen. Europa und der Westen haben die arabischen Freiheitsbewegungen lange genug im Stich gelassen, es wird Zeit zu handeln. Eine Flugverbotszone erscheint mittlerweile als das einzige erfolgversprechende - und ausführbare - Mittel. Ein Lob der UNO und auch den USA, dass es jetzt endlich doch noch schnell zu gehen scheint!

  • FS
    Friedrich Schröder

    Unsere "Realpolitiker" sind ebenso wie die "Edel-Pazifisten" total verschleimt, korrupt und bar jeder echten Ideale.

    Es geht eben nicht um "souveräne Staaten" in deren Angelegenheiten man sich nicht einmischen dürfe, nicht um "Beziehungen" (wirtschaftliche, politische, relegiöse) sondern immer um MENSCHEN! Hitler ist nicht durch Gewaltlosigkeit gestoppt worden, sondern - viel zu spät - durch die Gegenwehr der Verbündeten, die gegen einen "souveränen Staat" Krieg führten, um den unterdrückten MENSCHEN zu helfen.

    Also sollten wir das auch heute tun und ich bin den USA dankbar, dass sie die Drecksarbeit übernehmen wollen. Und ich frage nicht, was sie sich sonst für Sauereien geleistet habe, sondern freue mich, dass sie endlich mal auf der richtigen Seite kämpfen.

  • DI
    Dr. Ines Lehmann

    Tja... Wann haben Deutsche, deutsche Soldaten schon mal für die Freiheit anderer, anderer Völker einen Tropfen Blut vergossen, tja und selbst für sich selbst?

  • IS
    ISamuel Schirmbeck

    Ein guter Kommentar, ganz unideologisch auf das abzielend, was die Welt in Bewegung hält:

     

    der Wille , sich Vormundschaft, Knechtung, Willkür, Dogmen zu entziehen und an den Punkt zu gelangen, den jede individuelle und kollektive Existenz braucht: selbst entscheiden zu dürfen, was man will. ( Und das Ergebnis zur Diskussion zu stellen.)

     

    Das gilt eben auch für Lybien, und es ikst schön, das ein Linker der 68ger Zeit nicht, wie bei Linken so oft, nur GEGEN etwas ist, meist aus ideologischer Motivation, sondern FÜR etwas, den Elan der Freiheit selbst.....

     

    Gegen Semler muss Ghaddafi verlieren. Allons enfants....

  • V
    vic

    Nein so geht das nicht. Man kann nicht nur in Staaten eingreifen, mit denen man Geschäfte macht, und wenn es um Ressourcensicherung geht.

    Eine "Flugverbotszone" wird sehr weitreichende Folgen haben.

    Vielleicht für Gaddafi, sicher für den Westen.

  • JK
    Jürgen Kluzik

    Nichteinmischung, Stabilität, Energiesicherung, zuverlässige Abwehr der Flüchtlingsströme, Spiesserkarrieren, Bürgertum, Lob von Gaddafi.

     

    Dummes Geschwafel hier in Deutschland. Komm erzähl mir über Libyen. Über den Kampf für Freiheit, Solidarität. Und bring mein von Gott verdammtes Land, meine kleine Welt zum Beben. Bring mir meine Ideale, meine Jugend und meine Leidenschaft zurück.

  • S
    Sozialist

    Warum sollen wir uns auch in Angelegenheiten souveräner Staaten einmischen? Es reicht schon das wir uns in Afghanistan eingemischt haben! Den gleichen Fehler brauch man nicht nochmal machen. Außerdem sollten wir nicht dem großartigen sozialistischen Führer Hugo Chavez in den Rücken fallen!