Kommentar Das Steuerschenkungspaket: Den Staat abwracken
Für die mit Geld in den Taschen ist es ein gern gesehenes Weihnachtsgeschenk. 8,5 Milliarden Euro schiebt Schwarz-gelb ihrer Klientel in die Taschen.
I hr habt sie doch nicht alle!" Diesem Ausruf, den der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ausgestoßen haben soll, als er von den Steuerplänen der Bundesregierung erfuhr, konnte man sich aus ganzem Herzen anschließen.
Ein paar Wochen und ein paar Milliarden Euro aus der Bundeskasse später steht man damit recht allein da. Denn Carstensen ist eben doch nur eine Provinzcharge. Es ging ihm nie um die politische Vernunft, es ging ihm um seine landespolitischen Pfründen. Er und die anderen Möchtegernrevoluzzer aus den Ländern ließen sich mit ein paar Kröten extra und ein bisschen bildungspolitischer Schönrechnerei kaufen.
8,5 Milliarden Euro lässt es sich die Regierung kosten, Unternehmen, Erben, Eltern mit solidem Einkommen und Hoteliers zu entlasten. Die Verteidiger des Gesetzes behaupten, es sei unabdingbar, dass der Staat weiter mit Geld um sich wirft. Nur so sei die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff zu kriegen. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine klassisch keynesianische Politik - auf den zweiten Blick aber um die bloße Bedienung der schwarz-gelben Klientel: der Wohlhabenden.
Richtig ist: Der Staat soll in der Krise Geld in die Hand nehmen. Aber nicht, um es sofort wieder in private Hände weiterzureichen in der Hoffnung, dass die schon irgendwie das Richtige damit anfangen. Er muss selbst Prioritäten setzen und dann gezielt investieren, an erster Stelle in die Bildung. Um das leisten zu können, darf der Staat aber gerade nicht auf Steuereinnahmen verzichten.
Dass die Wirtschaft ausgerechnet durch die jetzt geplanten Steuergeschenke zum Wachsen gebracht würde, das glauben die meisten Wirtschaftsexperten ohnehin nicht. So profitieren zum Beispiel vor allem Gutverdiener mit Jahreseinkommen von über 64.000 Euro, die den erhöhten Kinderfreibetrag nutzen können. Eher unwahrscheinlich, dass die nur auf ein paar hundert Euro mehr in der Kasse gewartet haben, um ihren Konsum auszuweiten. Hartz-IV-Empfänger, die mit jeden Cent extra sofort die Nachfrage steigern würden, gehen dagegen leer aus, weil das Kindergeld gleich verrechnet wird. Die Entlastung für die Unternehmen wiederum läuft vor allem darauf hinaus, dass ein paar Hürden für Steuervermeidungstricks weggeräumt werden. Ein eigenwilliges Verständnis von seriöser Wirtschaftspolitik. Warum da nicht gleich die Steuerhinterziehung Richtung Liechtenstein staatlich fördern?
Viel mehr aber zählt ein anderes Argument: Krisen sind per definitionem punktuelle Ereignisse. Steuersenkungen dagegen sind dauerhaft. Kaum eine Regierung wagt es, einmal gemachte Geschenke zurückzuziehen. Die Hoteliers werden sich auch dann noch über die ermäßigte Mehrwertsteuer freuen, wenn Konjunktur und Tourismus brummen. Dem Staat aber werden die Einnahmen dauerhaft fehlen.
Dabei brauchte er sie so dringend! Gerade hat das Bundeskabinett eine Neuverschuldung von 100 Milliarden Euro angekündigt. Irgendwann muss der Staat sparen, spätestens wenn die EU Ernst macht und von der Regierung die Halbierung des Haushaltsdefizits verlangt. Was liegt in der schwarz-gelben Perspektive näher, als bei den angeblich ohnehin viel zu hohen Sozialausgaben den Rotstift anzusetzen und - wo wir gerade dabei sind -, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, die Geringverdiener überdurchschnittlich belastet. Die Steuergeschenke der Regierung kommen den Armen dagegen niemals zugute. Sie haben zu geringe Einkünfte, um überhaupt nennenswerte Steuern zu zahlen.
Merke: Steuersenkungen sind immer eine Umverteilung von unten nach oben und vom Staat zum Privatsektor. Das ist es, wofür Schwarz-Gelb steht. Und leider ist das nur konsequent. Von der SPD, die mit den Hartz-Reformen ihre potenzielle Wählerschaft gegen sich aufbrachte, haben CDU und FDP gelernt, es sich mit ihrer Klientel nicht zu verscherzen. Für die ist die Steuerpolitik der Regierung maßgeschneidert. Es sich mit den Armen zu verscherzen, erscheint dagegen risikolos. Wer schon längst nichts mehr vom Staat erwartet und deshalb schon längst nicht mehr wählen geht, für den wird eben keine Politik mehr gemacht. So einfach ist das. Oder vielmehr: So einfach machen es sich die Regierenden in Berlin, Kiel und Dresden.
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