Kommentar DDR-Deutungsstreit: Im Reservat der Geschichtsdebatten
Einst waren es Stasi-Enthüllungen und Historiker-Debatten, heute regen Gedenkstättenkonzepte die Diskussion an. Doch die deutsche Erinnerungskultur marginalisiert den Osten.
Seit 1989 ist die DDR ein heftig umkämpftes Territorium. Der posthume Deutungsstreit fällt paradoxerweise lautstärker aus als zu ihren Lebzeiten. Alle Jahre wieder flammen die Konflikte auf: Ging es in den Neunzigerjahren noch um Stasi-Enthüllungen und Historiker-Debatten, so sorgen heute öffentliche Gedenkstättenkonzepte, Planungen für Freiheitsdenkmäler und die Zukunft der Birthler-Behörde für Aufregung.
Diese Eruptionen täuschen allzu leicht darüber hinweg, dass die DDR-Geschichte ein erinnerungspolitisches Reservat in der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft ist. Der unangefochtene Diskurs-Dauerbrenner "1968 ff." beweist mit seiner Dominanz stets aufs Neue, wie vergleichsweise marginalisiert die existenziellen östlichen Dramen seit 1945 im historischen Bewusstsein hierzulande sind. Klagelieder darüber helfen nicht weiter: Wie sollte auch ein in der Pfalz aufgewachsener Mittzwanziger die Leidenschaften verstehen, mit der über längst vergangene Epoche gestritten wird? Auf die Frage: "Wann war der Mauerfall?" antworten Erstsemester in München heute "Irgendwann in den Achtzigerjahren".
Zum Problem der gesamtdeutschen Erinnerungskultur wird solche unschuldige Ignoranz jedoch dann, wenn die DDR-Geschichtsdebatten nur noch als skurriles oder ermüdendes Schauspiel belächelt werden, bei dem sich zottelige Bartträger und larmoyante, längst in der CDU gelandete Exdissidenten zanken. Denn diese seltsam nervenden, in der Bundesrepublik nicht wirklich angekommenen Gestalten gehören zur schwach ausgeprägten Tradition von Zivilcourage hierzulande. Die Diskussion, die momentan Florian Havemanns 1.100-Seiten-Abrechnung mit seinem Vater und DDR-Oppositionsikone Robert ausgelöst hat, mag daher zwar die Kenntnis befördern, dass politischer Mut auch mit Eitelkeit und fragwürdiger Moral einhergehen kann. Doch diese biografischen Facetten können die historische Bedeutung des Dissidenten Robert Havemann nicht schmälern.
Kommentar DDR-Deutungsstreit: Im Reservat der Geschichtsdebatten
Einst waren es Stasi-Enthüllungen und Historiker-Debatten, heute regen Gedenkstättenkonzepte die Diskussion an. Doch die deutsche Erinnerungskultur marginalisiert den Osten.
Seit 1989 ist die DDR ein heftig umkämpftes Territorium. Der posthume Deutungsstreit fällt paradoxerweise lautstärker aus als zu ihren Lebzeiten. Alle Jahre wieder flammen die Konflikte auf: Ging es in den Neunzigerjahren noch um Stasi-Enthüllungen und Historiker-Debatten, so sorgen heute öffentliche Gedenkstättenkonzepte, Planungen für Freiheitsdenkmäler und die Zukunft der Birthler-Behörde für Aufregung.
Diese Eruptionen täuschen allzu leicht darüber hinweg, dass die DDR-Geschichte ein erinnerungspolitisches Reservat in der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft ist. Der unangefochtene Diskurs-Dauerbrenner "1968 ff." beweist mit seiner Dominanz stets aufs Neue, wie vergleichsweise marginalisiert die existenziellen östlichen Dramen seit 1945 im historischen Bewusstsein hierzulande sind. Klagelieder darüber helfen nicht weiter: Wie sollte auch ein in der Pfalz aufgewachsener Mittzwanziger die Leidenschaften verstehen, mit der über längst vergangene Epoche gestritten wird? Auf die Frage: "Wann war der Mauerfall?" antworten Erstsemester in München heute "Irgendwann in den Achtzigerjahren".
Zum Problem der gesamtdeutschen Erinnerungskultur wird solche unschuldige Ignoranz jedoch dann, wenn die DDR-Geschichtsdebatten nur noch als skurriles oder ermüdendes Schauspiel belächelt werden, bei dem sich zottelige Bartträger und larmoyante, längst in der CDU gelandete Exdissidenten zanken. Denn diese seltsam nervenden, in der Bundesrepublik nicht wirklich angekommenen Gestalten gehören zur schwach ausgeprägten Tradition von Zivilcourage hierzulande. Die Diskussion, die momentan Florian Havemanns 1.100-Seiten-Abrechnung mit seinem Vater und DDR-Oppositionsikone Robert ausgelöst hat, mag daher zwar die Kenntnis befördern, dass politischer Mut auch mit Eitelkeit und fragwürdiger Moral einhergehen kann. Doch diese biografischen Facetten können die historische Bedeutung des Dissidenten Robert Havemann nicht schmälern.
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Kommentar von
Alexander Cammann