Kommentar Bsirskes Wiederwahl: Reine Abnickveranstaltung
Vom Verdi-Bundeskongress in Leipzig geht kein Signal der Erneuerung aus. Doch genau das bräuchte die Gewerkschaft.
E r mutet an wie die Hauptversammlung eines Konzerns mit einigen nölenden Kleinaktionären: der Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den Messehallen Leipzig. Um die Stimmung zu heben, gibt es gut zu essen und zu trinken. Die Mehrheiten stehen von vornherein fest, es ist eine reine Abnickveranstaltung. Auch das Alter der meisten Teilnehmer ist vergleichbar, 53 Jahre ist das Durchschnittsalter der knapp über 900 Delegierten.
Die Gewerkschaft ist eine solide Interessenvertretung für die Gesättigten. Das macht Verdi immer wieder bei Tarifabschlüssen deutlich, wenn die älteren, gut Verdienenden am besten abschneiden – während die jüngeren oder prekär Beschäftigten mit wenig abgespeist werden oder gar leer ausgehen.
Aber: Vielen Verdi-Mitgliedern ist der Kurs ihrer Gewerkschaft zutiefst suspekt. Es rumort an allen Ecken und Kanten. Ökologisch Orientierte sind erbost über den Pro-Kohlekurs von Verdi-Chef Frank Bsirske. Aus dem Einzelhandel sind viele verbittert, weil die Gewerkschaft hilflos auf Tarifflucht von Supermarktketten wie Real und die Inflation von Teilzeitverträgen reagiert. ErzieherInnen schimpfen über den Schlichtungsvorschlag, den die Gewerkschaftsspitze annehmen wollte. Beschäftigten der Post empört der Tarifabschluss, den die Verdi-Verhandler über ihre Köpfe hinweg abgeschlossen hat.
„Tarifromantiker“ und „Illusionisten“ seien jene, die keinen Kompromiss, sondern eine 100-prozentige Durchsetzung ihre Forderung wollten, kanzelte der mit 88,5 Prozent wiedergewählte Bsirske die Kritiker der Post- und Kita-Arbeitskämpfe ab, die er in „interessierten Kreisen“ in den Medien verortet. Beim Bundeskongress sind skeptische Stimmen eine Randerscheinung. Drei Minuten Redezeit haben Delegierte bei der Generalaussprache, nach den wenigen Kritikern sprechen Redner mit völlig anderen Anliegen. Die bitter nötige Diskussion darüber, wo Verdi steht und wo die Gewerkschaft hin will, kann so nicht entbrennen.
Die Spitze will kein kritisches Kollektiv
Das Schlimme ist: Sie soll auch nicht entstehen. Die Spitze will kein kritisches Korrektiv. Statt auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Strategie und Rolle in einer sich immer schneller veränderten Arbeitswelt setzt die Verdi-Spitze auf Selbstbeschwörung. „Wir sind eine tolle Gewerkschaft! Wir sind die Guten“, rief die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis eine der Lieblingsparolen der Verdi-Funktionäre – und erhielt trotz des in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Postdesasters 90,24 Prozent der Stimmen bei ihrer Wiederwahl.
Vom Leipziger Bundeskongress geht kein Signal des Aufbruchs und der Erneuerung aus. Doch die Gewerkschaft braucht genau das. Mit einem einfachen „Weiter so“ wird die Gewerkschaft nicht, wie ihre Funktionäre meinen, „noch stärker“, sondern immer schwächer. Seit der Gründung 2001 hat Verdi fast ein Drittel der Mitglieder verloren. Ohne Kurskorrektur, einer innergewerkschaftlichen Demokratisierung und neuen Ideen für das digitale Zeitalter wird der gesellschaftliche Bedeutungsverlust weitergehen.
Dabei sind starke Gewerkschaften gerade in diesen Zeiten wichtig. Das zeigt das Beispiel Post, bei der ein Konzernvorstand mit brachialer Gewalt seine maßlosen Renditeerwartungen auf Kosten der Beschäftigten durchprügelt.
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