Kommentar Britische Arbeiterproteste: Populismus schlägt zurück
Es ist die völlig verfehlte Politik der EU, die den Streik in den britischen Ölraffinerien provoziert hat. Es geht ihr nicht um Grenzöffnung, sondern um den Abbau von Rechten.
Ralf Sotscheck ist Korrespondent der taz für Großbritannien und Irland. Er lebt in Dublin.
Wirtschaftskrisen sind immer ein Nährboden für Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Der britische Premierminister Gordon Brown wird nun von den Arbeitern mit seinem eigenen Slogan konfrontiert: "Britische Jobs für britische Arbeiter." Ein törichtes Versprechen, denn Brown konnte es gar nicht einhalten: Großbritannien ist nun mal Mitglied der Europäischen Union.
Es ist die völlig verfehlte Politik dieser Europäischen Union, die den Streik in den britischen Ölraffinerien und Kraftwerken heraufbeschworen hat. Und er ist lediglich der Anfang, weitere Aktionen auch in anderen EU-Ländern werden folgen. Was nämlich als arbeitnehmerfreundliche Öffnung der inneren EU-Grenzen verbrämt wurde, hatte in Wirklichkeit ein ganz anderes Ziel: Die Arbeitskräfte sollten dem globalen Markt angepasst werden. "Flexibilität", so heißt das Stichwort. Leiharbeitsjobs und befristete Stellen haben zugenommen, die Rechte der Arbeiter haben abgenommen.
Der Abbau dieser Rechte ist vom Europäischen Gerichtshof untermauert worden. 2003 urteilte er, dass die finnische Reederei Viking Line eine estländische Besatzung einstellen und sie nach estländischen Bedingungen bezahlen durfte. Dadurch sanken die Lohnkosten um 60 Prozent. Ein Jahr später erlaubte der Gerichtshof einer lettischen Baufirma, in Schweden zu arbeiten und lettische Löhne zu zahlen.
Den Gewerkschaften ist der Vorwurf zu machen, dass sie trotz Globalisierung zu sehr im nationalen Denken verharren. Während die Konzerne an den arbeitgeberfreundlichen EU-Regelungen kräftig mitstrickten, haben es die Gewerkschaften versäumt, über die eigenen Grenzen hinauszublicken. Nun, in Zeiten der Krise, wird nahezu jede Forderung nach Demokratisierung, nach Abschaffung der Gelegenheitsbeschäftigung und Niedriglohnarbeit mit dem Hinweis auf die prekäre Globalwirtschaft abgeschmettert. Gerade jetzt wäre es aber angebracht, eine demokratischere Kontrolle der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts zu fordern - und nicht "Jobs für die Einheimischen".
RALF SOTSCHECK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Forderungen und die Bundeswehr
Aus lauter Angst
Probleme der „Tagesschau“
Flaggschiff in Schieflage
Morde von Aschaffenburg
Dem Horror entkommen
Kongress zu Wohnungslosigkeit
Die Zeit läuft ab
Friedensbewegung heute
Gespalten und orientierungslos
Sportunterricht für den Ernstfall
Kinder zum Krieg erziehen