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Kommentar BörsenentwicklungEin rationaler Weckruf für die Politik

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Die Weltwirtschaft schwankt, der Dax reagiert. Das ist nicht weiter verwunderlich, zeigt aber doch, dass Handlungsbedarf besteht.

T iefenrausch, Panikverkäufe, verrücktspielende Märkte: In der Beschreibung der jüngsten Entwicklung an der Börse überschlagen sich viele Medien und Analysten mit Katastrophenvokabular. Bisher scheint das übertrieben: Die Kurse sind in dieser Woche zwar deutlich gesunken, aber von einem Absturz wie nach der Lehman-Pleite sind sie weit entfernt. Der DAX hat die Gewinne des letzten Jahres verloren, der Dow Jones die der letzten sechs Monate.

Das ist nicht verrückt, sondern durchaus rational. Denn dass der Aktienmarkt angesichts der weitweiten Wirtschaftsprobleme zuletzt völlig überbewertet war, ist unbestritten. Verwunderlich ist eher, dass es so lange gedauert hat, bis die Korrektur einsetzte. Doch auch wenn der Kursverlust an den Börsen keineswegs das Hauptproblem ist, so ist er doch ein wichtiges Zeichen - und zwar dafür, dass die politischen Entscheidungen der letzten Wochen nicht geeignet waren, die strukturellen wirtschaftlichen Ursachen der Probleme zu beheben - weder in den Vereinigten Staaten noch in Europa.

In den USA weicht die Erleichterung darüber, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit abgewendet wurde, inzwischen der Erkenntnis, dass die im Gegenzug beschlossenen massiven Einsparungen die Wirtschaft abwürgen werden. Und in Europa zeigt sich immer deutlicher, dass die beim jüngsten Gipfel beschlossenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Eurokrise dauerhaft zu lösen.

taz
MALTE KREUTZFELDT

ist Leiter des taz-Ressorts Wirtschaft und Umwelt.

Es gibt noch immer keine echten Eurobonds, die eine Spekulation gegen Staatsanleihen einzelner Länder unmöglich machen würden. Die umstrittenen Kreditausfallversicherungen, die für die spekulativen Attacken genutzt werden, sind noch immer nicht reguliert. Und der Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank, der in Großbritannien oder den USA völlig normal ist, sorgt in Europa immer noch für großen Streit.

Diese Verunsicherung hat nicht nur in der Eurozone und den USA selbst konkrete Auswirkungen, zum Beispiel auf Kaufkraft und Arbeitsmarkt. Auch andere Regionen werden mitgerissen, etwa weil Anleger bei der Flucht aus Euro und Dollar auf Drittwährungen setzen - ob aus der Schweiz, Japan oder Brasilien - und durch den Kursanstieg dort dem Exportmarkt große Probleme bereiten.

Weil in den USA nach dem Grundsatzbeschluss zum massiven Sparen ein Gegensteuern gegen die drohende Rezession kaum möglich scheint, liegt die Verantwortung nun vor allem bei der EU. Eine gemeinsame Finanzpolitik, die spekulative Attacken verhindert, und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, die auf ökologisches Wachstum setzt, sind der Schlüssel dazu, dass sich die Krise nicht wirklich zur Katastrophe ausweitet.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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3 Kommentare

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  • H
    hto

    "Ein rationaler Weckruf für die Politik"

     

    - auweia, wieder nur im Sinne der konfusionierenden Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll gedacht, denn die Politiker sind doch die "Treuhänder" dieser manipulativ-schwankenden "Werteordnung" im "freiheitlichen" Wettbewerb!?

  • DL
    Dankwart Lehr

    Mich verwundert immer wieder, die von TAZ-Kommentatoren ausgedrückte Sehnsucht nach Eurobonds. Was wird denn durch eine Sozialisierung der Schulden besser? Warum sollten wir damit einverstanden sein das spanische, italienische,griechische und irische Schulden von den kränkelnden Kernländern des Euro mit übernommen werden. Sicherlich werden deren Schuldzinsen vorübergehend sinken und wir erkaufen uns vielleicht auch nochmal ein weiteres Jahr Ruhe an den Märkten. Das war's dann aber auch schon mit den Vorteilen. Die Zinsen der noch nicht kollabierten Euroländer werden dauerhaft steigen und die Schulden werden auf alle verteilt. Warum sollten Wirtschaftswachstum und Sparwillen in Südeuropa dadurch steigen? Führt den Schuldensozialisierung zu einer Verhaltensänderung? Ich sehe hierzulande auch keine Bereitschaft die Schulden dieser Länder zu übernehmen. Warum auch? Irland war bis vor drei Jahren ein Boomland und wirtschaftliches Vorzeigeland der EU. Hochgepäppelt mit mehr als 65 Milliarden EU-Subventionen hat es sich in seiner Hochphase durch Verweigerung des EU-Vertragswerks alles andere als solidarisch gezeigt. Spanien hat, ebenfalls kräftig subventioniert, das Land mit sinnlosen Rohbauten überzogen. Und die Schuldenkrise im Berlusconi-Land wurde über einen langen Zeitraum der Misswirtschaft aufgebaut, ebenso wie in Griechenland.

    Unmittelbar vor uns in Deutschland steht ein gewaltiges demografisches Problem. Wir sind selbst seit langem nicht mehr in der Lage einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu vorzulegen. Auch in Deutschland leben Millionen Kinder und Jugendliche unterhalb der Armutsgrenze. Eltern tapezieren und lackieren in Schulen, weil der Staat seine Aufgaben nicht mehr wahrnimmt. Eurobonds werden den wirtschaftlichen Verfall Europas dramatisch beschleunigen. Wer mich für unsolidarisch hält, dem sei es freigestellt, Staatsanleihen der Problemländer zu kaufen.

  • H
    Hannes

    "auf ökologisches Wachstum" setzen?

     

    Das Problem damit ist leider, dass es noch nie funktioniert hat. Wachstum hat bislang immer zu mehr Ressourcenverbrauch geführt - und es scheint sehr zweifelhaft, ob sich das jemals ändert.

     

    Eine Abkehr von einer auf Wachstum basierenden Wirtschaft ist angesichts der Klimakatastrophe dringend notwendig.