piwik no script img

Kommentar BetreuungsgeldDas Grinsen der Opposition

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Gegen jede Vernunft: Das ewige Gezänk über das Betreuungsgeld geht weiter. Dabei ist der Gegenstand ein teures, weitgehend sinnleeres Unterfangen.

E s ist ein unglaublicher Vorgang. Die Koalition steht ohne Mehrheit da, die erste Lesung des Gesetzentwurfs zum Betreuungsgeld im Bundestag ist geplatzt. Und dies nicht nur, wie die Regierungsparteien schäumend kundtun, weil die Opposition beim Hammelsprung vor der Tür blieb und so das Parlament lahmlegte. Die Koalition war zuvor in die vermutete Unterzahl geraten und benötigte die Zählung, weil ihr selbst über hundert Abgeordnete fehlten. Ein folgenreiches Missgeschick, das die Opposition grinsend ausnutzte.

Das ist verständlich. Das Betreuungsgeld ist ein teures, weitgehend sinnleeres Unterfangen, das mittlerweile über 70 Prozent der Deutschen nicht wollen. Es wurde erfunden, um der CSU den Kitaausbau zu versüßen, der für die CSU-Männer mit ihrem am Muttermythos orientierten Familienbild schwer verdaulich war.

Wem nützt es? Den armen, von Hartz IV lebenden Familien schon mal nicht, denn bei ihnen wird es verrechnet. Den armutgefährdeten Familien, davon viele Alleinerziehende, nützt es auch kaum, denn es hält die Mütter vom Arbeitsmarkt fern. Genau das, dass diese Mütter daheimbleiben, ist aber das Hauptrisiko, durch das Familienarmut droht. Die begüterten Schichten nähmen das Geld schlicht mit, damit die berufstätige Mutter private Betreuung einkaufen kann. Die Regierung subventioniert damit also die Konkurrenz ihrer eigenen staatlichen Kitas und Tagesmütter, die sie nicht ausreichend finanziert.

Bild: taz
Heide Oestreich

ist Redakteurin im Inland der taz.

Die Opposition sorgt nun dafür, dass über das Betreuungsgeld noch länger debattiert werden muss. Doch ist zu befürchten, dass nur das ewige Gequäle weitergeht, weil die CSU weiter gegen jede Veränderung der Leistung sein wird – gegen jede Vernunft und gegen sämtliche Sachverständigen. Die Union wird in Zukunft lediglich ihre Abgeordneten besser zählen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • S
    Slimak

    Das Betreuungsgeld ist ein weiterer Beitrag zu Verdummung der Nation. Dass der Egomane Seehofer die Republik in Geiselhaft nimmt, wird nur die Politikverdrossenheit massiv befördern. Somit gefährdet der CSU Patriarchat die Demokratie - und nicht die Opposition, die lediglich die Steilvorlage der Koalition genutzt hat. Der Artikel von Frau Östreich überzeugt durchaus - auch wenn manche der LeserInnen offensichtlich das perfide Spiel der Regierenden nicht kapieren. Es liegt gar keine Wahlfreiheit vor, wenn weder quantitativ noch qualitativ ein Betreuungsangebot für die vom Betreuungsgeld betroffene Altersstufe vorliegt. Schon das ist armselig genug in einem der reichsten Länder der Welt, das ideologisch im vorletzten Jahrhundert stecken geblieben ist.

     

    Dass mittels Betreuungsgeld Selektion und Segregation einerseits und Altersarmut andererseits bedient werden, kann demokratische Bürgerinnen und Bürger im 21. Jahrhundert nur beschämen.

  • G
    guntherkummmerlande

    Letzlich ist das Betreuungsgeld auf das

    sich Medien, SPD, Grüne und leider auch LINKE

    eingeschossen haben für die Opposition die einzige

    Möglichkeit eine Alibi-opposition aufzubauschen,

    wobei die finanziell extremst wichtigsten Richtungsbestimmungen

    Merkels die einzigen natürlich katatrophal

    dysfunktionalen Lösungsansätze liefert!

    Von der SPD kam nur gleich Staatsauflösung

    und Eurobonds. Die Wegbereiter des NS-Regimes

    halten an ihrer Selbstentmachtungsstrategie

    (siehe Notstandsverordnung) fest.

    Ich könnte nur kotzen vor solchen Verbrechern!

    Die wenigen Mrd. die das Betreuungsgeld kostet sind überhaupt

    nichts im Vergleich zu einer 70% Schuldenübernahme

    von EU-Mitgliedsländerschulden auf den

    deutschen Steuerzahler!!!!

     

    Nur ein total feiges, agonisches und hyperverblödetes

    Volk regt sich allen Ernstes, um einen 150 Euro Zuschuss

    für Mütter mit Kindern unter 3 Jahren auf!!!!!!

    Daran gehen wir mit Sicherheit nicht pleite,

    aber an weiteren 3-5 Billionen Euro Schuldenübernahmen + Billionen an Renten-

    und Pensionsansprüchen bei rapide fallender Demographie schon!!!!!!!!!

    Und wenn wir auch mit unseren Bürgerrechten,

    Immobilien, Aktien und ALLEN Besitztümern

    haften sollen, dann waren diese läppischen

    max. 2Mrd. Euro als minimalster

    Gebärmotivationsimpuls sicherlich nicht das

    Ende der BRD.

    Frau Oestreich, hören Sie bitte auf

    die Menschen von den wirklich wichtigen Problemen

    abzulenken und Sie auf feministische Nebenkriegsschauplätze zu führen!!!

     

    Auf die Gesundheit, Lebenserwartung, Nebenqualifikationsfähigkeiten der Mütter und auf

    die existentielle Mutter-Kind-Bindung von

    Kleinstkindern zwischen 0-3Jahren

    müssen Sie sich nicht echauffieren!!!!

    Ja, auch Mütter, die zu Recht unserem Erziehungssystem mißtrauen oder die Vierfachbelastung

    (Baby/Kleinkind!!!!!, Beruf, Haushalt, Partnerschaft

    ) nicht mit Pfusch auf allen Ebenen begegnen wollen

    oder einfach nicht soooooooooooooo stark sind, wie

    irgendwelche Powerfrauenexistenzen sollen

    sich dezidiert wenigen Hauptgebieten zuwidmen

    und hier gute Arbeit leisten können!!!

    Durch unfaire Geldverteilungen werden die Menschen

    bei knappen Einkommen defacto gezwungen, sich

    der SPD/Grünen/Linken - Auffassung von Erziehung

    zu unterwerfen. Und das kann es nicht sein!

    Außerdem spart Deutschland eh zu sehr mit

    dem Resultat, dass wir entmachtet und entkapitalisiert werden sollen!!!!!!!!!

    Und sie liebe Frau Östreich tragen mit ihrer

    Volksverdummung mit redlich dazu bei!!!

  • W
    willi

    Die Verlogenheit der CSU-Herren ist schäbig.

     

    Würde es auch nur ansatzweise um "Familienförderung" gehen, würde einfach das Kindergeld erhöht. Das wahre Ziel - den Gesetzesanspruch auf einen KiTa-Platz zu kippen - traut man sich nicht zuzugeben.

    Immerhin - das mit diesem Gesetzentwurf, der nur denen hilft, die keine Unterstützung brauchen, ein riesiger Bürokratenapparat in Gang gesetzt wird, ist sogar den CSUler aufgefallen und in der Vorlage formuliert.

    Sollen dann antragswillige Eltern von sämtlichen KiTas im Umkreis von 100 km allmonatlich Unterschriften einholen, dass ihr Kind _nicht_ dort war? Oder wie sieht das Konzept aus?

  • J
    J.B.

    Nicht wenige Eltern mit geringem Einkommen möchten sehr gerne ihre Kinder zu Hause erziehen.

    Nun bekommen sie eine nagelneue U3-Kita mit sehr guten Erziehern zu erschwinglichen Preisen vor die Tür gesetzt.

    Diese Kita müssen sie jetzt auch noch über ihre Steuern mitbezahlen, obwohl sie diese gar nicht brauchen.

    Oder sollen/müssen sie jetzt ihre Kinder dorthin schicken?

  • DG
    Dirk Gober

    Dieser Vorgang spricht Bände über das Demokratieverständnis der ehemaligen rotgrünen Machthaber. Passen demokratische Ergebnisse nicht ins eigene ideologische Bild, werden sie eben auch mit unsauberen Mitteln ver- und behindert. Wo denn sonst, als im Plenum, ist denn der Platz der Abgeordneten? Daß die taz diese Pflicht- und Demokratieverletzung auch noch bejubelt, ist nur naheliegend, schließlich soll ja der Mob regieren.

  • V
    vic

    Was soll ich davon halten, wenn ausgerechnet die Familienministerin die Abstimmung schwänzt und sich lieber ins Wochenende verabschiedet?

    Dummheit, Absicht, Boykott?

    Jedenfalls sind dicke Lippen der Merkel-Kampfhunde unangebracht.

    Erstmal vor der eigenen Türe kehren.

  • H
    Helga

    "gegen sämtliche Sachverständigen" - echt? Immer wieder witzig, wie die taz diesen absolutistischen Ansatz vertritt. Diskussionen? Argumente? Etwa Fakten? So etwas ist unter der Würde der taz, denn die hat die Wahrheit gepachtet.

  • C
    Comment

    Arme Frauen, in Zeiten der Betreuung der ganz eigenen Kinder, sind dies schon jetzt, weil sie mindestens hälftig dem Arbeitsmarkt fernbleiben wollen. Und dem deutschen Familienrecht sei Dank, über lange Jahre nicht auch nur annähernd vollschichtig arbeiten brauchen, während die Männer in die Zwangsarbeit geschickt werden.

     

    Zu den ausschließlich Männern aus der CSU, die mit dem Betreuungsgeld die Fahnen deutschen Mütterkults hoch halten, fallen mir spontan ein paar Namen ein: Herr Christine Harderthauer, Herr Dorothee Bär, Herr Angelika Niebler (plus weitere zigtausend Herren aus Frauenunion der CSU und Landfrauengruppe im Bauernverband) Herr Rita Pawelski (CDU) undundund.

     

    Über den aktuellen Zwischenstand jedoch freue ich mich sehr. Gern wäre ich meinem „Erzeugnis“ ein präsenter Vater gewesen. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass meine Enkelkinder selbst, frei und auf Augenhöhe mit dem Partner werden mitbestimmen können, welchen elterlichen Part in der eigenen Familie diese einnehmen und in welchem Maße mit Leben erfüllen.

  • G
    GregLev

    Ist die Taz jetzt auch zu einer Filiale des BDI mutiert?

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Aha, die moralisch überlegene Opposition hat also ein "Missgeschick ausgenutzt"? Realistisch betrachtet hat die parlamentarische Minderheit die Mehrheit schäbig ausgetrickst. Gewiss keine Sternstunde der Demokratie.

  • H
    Horsti

    Der Kommentar überzeugt mich nicht.

    Warum läßt man die Eltern nicht einfach selbst entscheiden, ob sie ihr Kind in eine Kita geben, oder lieber selber betreuen?

    Auch der Vorwurf, es wären CSU-Männer mit Muttermythos schlägt fehl, denn nicht nur in Bayern wollen viele Mütter lieber selbst betreuen.