Kommentar Berlusconis Bildungspolitik: Vorwärts in die Vergangenheit

Berlusconi und seine Getreuen entziehen dem Bildungssystem den Boden und führen damit vor, wie sie demnächst Forschung und Opposition den Garaus machen werden.

Unbarmherzig war die Diagnose, die die Unterrichts- und Universitätsministerin Mariastella Gelmini sofort nach ihrem Amtsantritt vor fünf Monaten stellte. Der italienische Bildungsbetrieb, so die junge Senkrechtstarterin aus Berlusconis Partei Forza Italia, sei von "Ineffizienz" und "Mittelverschwendung" geprägt. Wer wollte ihr widersprechen?

Italien hat sich einen Stammplatz unter den Pisa-Schlusslicht-Ländern erobert. Und auch Italiens Universitäten drohen international den Anschluss zu verlieren; mit ein bis zwei Prozent ziehen sie kaum noch ausländische Studierende an. Zum Vergleich: In Deutschland, Frankreich, Großbritannien kommen rund zehn Prozent der Studierenden aus dem Ausland.

Umso überraschender ist die Therapie, die Gelmini und Berlusconi dem Bildungswesen verordnet haben. "Vorwärts in die Vergangenheit" könnte der Slogan für das Grundschuldekret lauten. Wie in den guten alten Zeiten sollen die Kleinen wieder zum Tragen von Schulkitteln verpflichtet werden, sollen sie wieder aufstehen, wenn der "Maestro" den Klassenraum betritt. Betragensnoten soll es wieder geben, und in den Fächern sollen die bisher vorgenommenen differenzierten Beurteilungen in den Zeugnissen durch die lieben alten Schulnoten ersetzt werden.

Vor allem aber sollen die Grundschüler nur noch durch einen "maestro unico" - durch einen "einzigen Lehrer" - pro Klasse unterrichtet werden. Dies hat den schönen Nebeneffekt, dass das Unterrichtsministerium so binnen drei Jahren acht Milliarden Euro einsparen könnte, weil knapp 90.000 Lehrerstellen wegfallen. Der für Kinder und Eltern unschöne zweite Nebeneffekt ist allerdings, dass auch der bisherige Vollzeitunterricht wegfallen würde, im besten Falle zugunsten reiner Hausaufgabenbetreuung an den Nachmittagen.

Die Grundschule von morgen ist eine Schule von vorgestern - und die beiden Elemente der "Reform" fügen sich hervorragend ineinander. Italiens Rechte bemüht sich gar nicht erst groß, an Lehrplänen herumzudoktern, sie kämpft sich nicht an Herausforderungen wie "Wissensökonomie" oder "Wissensgesellschaft" ab. Ihr reicht es, "weniger Schule" mit ein bisschen mehr guter alter Disziplin anzuordnen. Dazu passen auch die den Universitäten verordneten Brachial-Streichungen: In den nächsten Jahren sollen durch die Bank 80 Prozent der freiwerdenden Dozentenstellen nicht mehr neu besetzt werden.

Mit anderen Worten: Berlusconis Italien will im internationalen Wettbewerb um Bildung und Forschung schlicht nicht mehr dabei sein. Schon heute spielt das Land in allen zukunftsträchtigen Sektoren mit hoher Wertschöpfung wie der IT-Branche, der Biotechnologie, der Pharmazeutik eine marginale Rolle, verdient es sein Geld auf den Weltmärkten dagegen vor allem mit Kleidung, mit Möbeln, mit Lebensmitteln. Und schon seit Jahren weist Italien bei den Produktivitätszuwächsen im internationalen Vergleich miserable Werte auf und begnügt sich mit Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, die gerade einmal gut ein Prozent des BIP ausmachen (Deutschland: 2,7 Prozent).

Berlusconis restaurative Schul-"Reform" zeigt, weit über das Bildungswesen hinaus, welche Wirtschaft, welche Gesellschaft der italienischen Rechten vorschweben: ein Italien, das sich in seinem Niedergang einrichtet. Entsprechend behandelt sie Bildung zunehmend als überflüssigen Luxus, hatte andererseits aber im letzten Sommer Milliarden dafür übrig, die von Berlusconi im Wahlkampf versprochene Streichung der Grundsteuer zu finanzieren - nicht zuletzt mit den Radikalschnitten bei der Bildung.

Als die Reformen wenig überraschend heftigen Widerstand in Schulen und Universitäten auslösten, sah Berlusconi eine weitere Gelegenheit gekommen: die Gelegenheit, das Reformpaket zum Lehrstück auch für den Umbau zu machen, den er im politischen System anstrebt. Auseinandersetzung mit der parlamentarischen Opposition, Dialog mit jenen gesellschaftlichen Gruppen, die durch die Dekrete betroffen sind, sind für die Berlusconi-Rechte nur mehr Bremsklötze beim autoritären "Durchregieren". Schon die Form der Sparbeschlüsse - nicht als Gesetz, sondern als vom Parlament erst im Nachhinein zu billigendes Regierungsdekret - sprach eine klare Sprache. Noch klarer wurde die Ansage, als das Grundschul-Dekret schließlich Anfang Oktober dem Abgeordnetenhaus vorlag. Obwohl die Berlusconi-Koalition dort über die satte Mehrheit von 100 Stimmen verfügt, ordnete der Regierungschef das Vertrauensvotum an - und würgte so die parlamentarische Diskussion über ihr Sparprogramm schon im Ansatz ab.

Nicht abwürgen konnte Berlusconi allerdings die Protestwelle im Land. Ihr widmete er sich mit dem Verfahren, das er schon bei der Bewältigung des Mülldramas in Neapel und bei der Lösung der Alitalia-Krise zur Anwendung gebracht hatte. Wer immer sich den von der Regierung angestrebten Lösungen widersetzte, wurde an den Medienpranger der fast völlig von der Regierung kontrollierten TV-Sender gestellt. Erst traf es die Bewohner, denen um Neapel neue Notstands-Müllkippen beschert wurden, dann die Alitalia-Angestellten und die nicht sofort zum Einlenken bereiten Gewerkschaften. Sie alle wurden als nur "um eigene Privilegien Besorgte" und "Extremisten" der öffentlichen Verachtung preisgegeben. Letztlich alles Vaterlandsverräter, so die Suggestion.

Ebenjenes Spiel erprobt die Regierung auch bei Schulen und Universitäten. Zum großen Teil "ziemliche Faulpelze" seien die Lehrkräfte, hieß es aus dem Regierungslager. Zum Verdruss der italienischen Rechten aber kam in den letzten Wochen eine Protestbewegung zustande, in der Lehrer, Professoren, Schüler, Eltern, Studenten Front machten gegen die Regierung.

Berlusconi erklärte daraufhin in der vergangenen Woche, er werde die Polizei in Schulen und Universitäten schicken, um den Besetzungen ein Ende zu machen, und Ministerin Gelmini legte nach: Einfach "terroristisch" sei der Protest gegen ihre Reform. So friedlich bisher die Hunderte von Protestaktionen im Lande verlaufen sind - nur in Mailand kam es zu einem Gerangel zwischen Studenten und der Polizei, und im süditalienischen Cosenza ging die Fensterscheibe einer Schule zu Bruch -, so wenig lässt sich das Berlusconi-Lager davon abhalten, gar "Infiltrationen der Roten Brigaden" in die Protestbewegung zu beschwören. Noch lässt er nicht zum Gummiknüppel greifen, doch Berlusconi gibt bereits zu erkennen, welchen Umgang er am liebsten mit den Protestierenden pflegen würde. Für die parlamentarische Opposition hat der Regierungschef dagegen seine Rezepte schon auf den Tisch gelegt: Dem Oppositionsführer Walter Veltroni riet er, der solle endlich seine Wahlniederlage zur Kenntnis nehmen und "fünf Jahre Urlaub machen". In Berlusconi-Land ist eine Opposition, die nicht "konstruktiv den vernünftigen Vorhaben der Regierung zustimmt", halt ebenso fehl am Platze wie jeglicher gesellschaftliche Protest.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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