Kommentar: Benno Schirrmeister über das Fetisch-Geeiere des CSD: Sex muss sein
Nicht jede Polemik ist hilfreich. Den Bremer CSD-Verein, der sonst sehr effektiv für LBGTI-Rechte in Stadt und Land ackert, mit Putins und Orbáns brutal heteronormativen Politiken gleichzusetzen, zeugt von einem verstörenden Desinteresse an echter Auseinandersetzung. Sicher haben auch Twitternde das Recht, dass ihnen einer abgeht, beim verbalen Niedermachen. Aber von dort zur Sachebene zu finden, ist kaum möglich. Und die Anfeindung macht es dem Gegenüber schwer, die eigenen Fehler einzuräumen und zu verstehen.
Punkt eins ist dem Vereins-Team dennoch gelungen, und das verdient Anerkennung. Bloß wirkt auch das, was jetzt als korrigierte Version des Paraden-Reglements online steht, als habe es nichts begriffen: Es ist ja offenkundig, dass die Forderung nach Angleichung an eine Gesellschaft, die den Teilnehmer*innen ihr So-Sein verwehrt hat und noch immer verwehrt, das eigene Ziel untergräbt. Genau deshalb muss eine LBGTI-Demo ja auch eine Demo für Asylrechte sein, weil doch das selbstverständliche Recht, über sein Lieben, seine Intimsphäre und seine Sexualpraktiken selbst zu bestimmen weltweit brutal beschnitten ist und Abweichung von der vorherrschenden Norm erbarmungslos verfolgt wird: Wer sexuelle Vielfalt feiern will, darf vieles, aber nicht, sie um einer besseren Akzeptanz willen zugunsten vermeintlich vorrangiger Ziele zurückdrängen. Der muss ermöglichen, dass sie sich als Zeichen ihrer selbst darstellt.
Solange sie einvernehmlich ist, so lange sie niemanden schädigt. Das ist die einzige Einschränkung. Und sie ist weit auszulegen: Solange niemand das „Publikum“ – den Begriff nutzt der CSD-Verein – gewaltsam zum Zusehen zwingt, ist es frei, zu entscheiden, ob es Zeuge einer mit gutem Grund unverschämt sexualisierten Demo werden will, oder nicht. Mehr kann es nicht fordern: Ihm die Zumutung dieser Entscheidung zu ersparen, bedeutet, die eigene Freiheit preiszugeben.
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