Kommentar Beck-Vorschlag: SPD wirbt um den Facharbeiter
Längere Zahlung von ALG I beruhigt ältere Arbeitnehmer zwar. Bringen würde das aber nur etwas, wenn Ältere tatsächlich die Aussicht hätten, wieder einen neuen Job zu finden.
Es ist die Horrorvision, die den Sozialdemokraten anhaftet, seitdem sie mit den Grünen die Hartz-Gesetze verabschiedeten: Die SPD hat die Facharbeiter in die Armut geschickt. Angeblich. Ein über 50-Jähriger, der seinen Job verliert, landet nach einem Jahr Arbeitslosengeld auf Hartz IV und wird zum Sozialfall. Er steht auf derselben Stufe wie Leute, die nie in ihrem Leben längere Zeit geackert haben. Hartz IV wurde so zum Synonym für die Absturzängste der unteren Mittelschichten. Das kostete die SPD Wählerstimmen. Diesen Imageschaden wollen die Sozialdemokraten reparieren.
SPD-Sozialpolitiker überlegen, den Älteren wieder ein längeres Arbeitslosengeld I zuzugestehen. Da die Union schon mal ähnliche Vorstöße gemacht hat, gibt es für das Vorhaben in der großen Koalition sogar trotz Protesten aus dem wirtschaftsliberalen Flügel der SPD mittelfristig eine Chance, umgesetzt zu werden. Zudem wird das Arbeitslosengeld I aus den Versicherungsbeiträgen der Bundesarbeitsagentur gespeist, die Arbeitsagentur freut sich derzeit über milliardenschwere Überschüsse. Das Vorhaben wäre also auch zu bezahlen.
Das längere Arbeitslosengeld I für Ältere gäbe vielen langjährig Beschäftigten das Gefühl, gesicherter zu sein, wenn der Job verloren geht. Eins allerdings wird dadurch nicht geleistet: Die früher übliche Form der Frühverrentung "über das Arbeitslosengeld" wird auch durch die Wiedereinführung einer längeren Bezugsdauer nicht wieder kommen. Die Kette: Entlassung, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Frührente wurde durch die Hartz-Gesetze und die Rentenreform abgeschafft. Daran würden auch sechs oder zwölf Monate längeres Arbeitslosengeld nichts ändern. Zunehmend mehr Ältere rutschen auf Hartz IV und dann in eine Rente mit hohen Abschlägen.
Die verlängerte Bezugsdauer brächte nur dann etwas, wenn Ältere die Chance bekommen, aus der Arbeitslosigkeit wieder einen neuen Job zu finden. Ob das für die Älteren klappt - das ist für diese Gruppe die eigentliche soziale Frage der Zukunft.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links