Kommentar Bankenkrise: USA: Real existierender Neoliberalismus
Die US-Regierung will den Banken sämtliche faulen Kredite abnehmen. Verkehrte Welt: Verstaatlichungen sind in den USA plötzlich die letzte Hoffnung der Banker.
Malte Kreutzfeldt ist Ressortleiter in der taz-Redaktion Ökologie und Wirtschaft.
Eine Woche der Superlative geht zu Ende. Auf Lehman Brothers, die teuerste Bankenpleite der Geschichte, folgte mit AIG die größte Verstaatlichung einer Versicherung; dem weltweiten Börsen-Absturz folgt nun eine Rettungsaktion bisher undenkbaren Ausmaßes: Die US-Regierung will den Banken sämtliche faulen Kredite abnehmen - was bis zu einer Billion Dollar an Steuergeldern kosten dürfte.
Verkehrte Welt: Verstaatlichungen, bisher eher von der Linkspartei propagiert, sind in den USA plötzlich die letzte Hoffnung der Banker. Ausgerechnet der bei den Anhängern des freien Marktes normalerweise verhasste Staat muss die Herzstücke des Kapitalismus retten: Müsste damit nicht die neoliberale Ideologie am Ende sein? Nicht unbedingt. Denn in der Praxis ist es schon lange so, dass die Marktfetischisten Freiheit von staatlichen Eingriffen vor allem dann fordern, wenn ihre Gewinne fließen. Kommt es hingegen zu großen Verlusten, durfte die Politik sich schon immer gern beteiligen.
Und auch diesmal ist das Kalkül wieder aufgegangen, dass der Staat aus Sorge vor noch größeren Problemen am Ende schon zahlen wird. Prompt gehen die Aktienkurse der Banken wieder steil nach oben.
Dennoch gibt es berechtigte Hoffnung, dass diese Form des real existierenden Neoliberalismus, bei dem die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden, es in Zukunft schwerer haben wird. Zu offensichtlich ist die Verantwortung der Investmentbanker für die Krise. Unbehelligt von der Politik konnten sie mit uferloser Gier ihre Traumrenditen einfahren, ohne dass die Frage, wer diese eigentlich letztlich bezahlt, auch nur gestellt wurde.
Am Ende ist dies nun wieder der Steuerzahler. Die irrwitzigen Kosten für die Öffentlichkeit aber bieten nun die realistische Chance, dass die Entscheidungsträger nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern die unregulierte Finanzbranche endlich beaufsichtigen. Dass mit dem Verbot spekulativer Derivate eine lange belächelte Kernforderung von Globalisierungskritikern über Nacht Realität wurde, ist ein erstes gutes Zeichen. Die teure Rettungsaktion sollte der letzte Sieg des Turbokapitalismus sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pressekonferenz in Mar-a-Lago
Trump träumt vom „Golf von Amerika“
Bürgergeld-Populismus der CDU
Die Neidreflexe bedient
Verkehrsranking
Das sind die Stau-Städte
Anbiederungen an Elon Musk
Der deutsche Kriecher
Religionsunterricht
Deutschlands heilige Kuh
Habeck-Werbung in München
Grüne Projektion