Kommentar Bahnabschluss: Kein Schell-Effekt
Endlich anständige Löhne für die Lokführer. Von diesem Erfolg auf eine ähnliche Dynamik im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes zu schließen, wäre jedoch blauäugig.
Glückwunsch! Die Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn erhalten nach Jahren endlich anständige Löhne. Ihre Gewerkschaft hat ihre Eigenständigkeit durchgeboxt. Einfach war beides nicht: Erst setzte Bahn-Chef Mehdorn aufs Aussitzen, dann auf verärgerte Bahnreisende. Doch gerade Letztere blieben aus, die Bevölkerung übte eine bisher unbekannte Solidarität mit den Streikenden und gegen das ungeliebte Unternehmen.
Für den Erfolg der Lokführer sind freilich noch einige weitere Bedingungen verantwortlich. Die Bahn AG strebt an die Börse und benötigt deshalb im nicht subventionierten Fern- und Güterverkehr stabile Gewinne statt chaotischer Verhältnisse. Zudem ist ein großes Transportunternehmen bei Arbeitsniederlegungen auch kleinerer spezialisierter Berufsgruppen - seien es nun Piloten oder Lokführer - extrem anfällig. Aus dem Erfolg der Eisenbahner auf eine ähnliche Dynamik bei den derzeitigen Tarifauseinandersetzungen zu schließen wäre blauäugig.
Bei den Bediensteten der Berliner Verkehrsbetriebe etwa mögen die Fahrgäste vom Streik betroffen sein, die Auswirkungen für den Senat halten sich in engen Grenzen. Schließlich spart man sich die Energiekosten für den hoch subventionierten Betrieb. Die Druckmittel beim laufenden Konflikt im öffentlichen Dienst sind vergleichsweise begrenzt - was macht es den Arbeitgebern schon aus, wenn Behördenmitarbeiter tageweise nicht an ihren Plätzen sitzen? Da müssten schon die Mitarbeiter der Müllabfuhr Verhältnisse wie in Neapel produzieren, bevor dieser Streik einen ähnlichen Druck erzeugt. Ob die Bevölkerung mit den Müllmännern dann aber ähnlich solidarisch umgeht wie mit den Bahnmitarbeitern, darf stark bezweifelt werden.
Die Deutschen haben die Lokführer nicht zuletzt deshalb mit großer Mehrheit unterstützt, weil sie um ihre miserablen Löhne wussten. Der Streik wurde so zum Symbol für ungerechte Entlohnung in der Gesellschaft, Solidarität zum Zeichen dafür, dass man auch selbst oft lange genug auf eine bessere Bezahlung warten muss. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst können bei ihrem Arbeitskampf auf ähnlich klare Konfliktlinien nicht setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!