Dokumentarfilmer Wegemann über Streiks: "Das ist doch kein Kampf mehr"

Holger Wegemann hat den Kampf gegen die Schließung des Bosch-Siemens-Werks in Berlin mit der Kamera begleitet. Und meint: Streiks sind eine Parodie der Arbeiterbewegung.

Harter Arbeitskampf oder sozialromantisches Ritual? Mitarbeiter eines Dresdner Kolbenring-Produzenten im Streik. Bild: ap

taz: Herr Wegemann, Sie haben wochenlang den Streik der Bosch-Siemens-Hausgerätewerke 2006 in Berlin gefilmt und jetzt als Dokumentarfilm herausgebracht. Sie sind jetzt sicher Streikexperte. Was gehört zu einem erfolgreichen Streik?

Holger Wegemann: Das Ergebnis solcher Streiks wie bei Bosch-Siemens finde ich durchaus widersprüchlich. Es wurde ja immerhin ein Drittel der Belegschaft entlassen. 170 Menschen, die ins Elend stürzten. Die kamen noch ein Jahr in eine Transfergesellschaft und waren danach fast alle arbeitslos. Hartz IV. Ohne Perspektive. Andererseits hat der Streik den Schließungsbeschluss der Konzernführung rückgängig gemacht. Das wurde mit dem Streik zurückgeschlagen. Immerhin war das ein absolutes Novum. Anders als zum Beispiel bei Nokia.

Was brauchte es für so ein Novum?

Es geht zunächst um Aufmerksamkeit, um öffentliches Interesse. Und da hatten die BSH-Arbeiter auch Glück: Die Siemens-Manager hatten gerade ihre Vorstandsgehälter um 30 Prozent erhöht. Dazu kam die Schließung von BenQ, der ehemaligen Siemens-Tochter in Kamp-Lintfort. Ohne die ganze BenQ-Debatte wäre das Bosch-Siemens-Werk in Berlin abgewickelt worden.

Wer erfolgreich streiken will, braucht Aufmerksamkeit.

Bei BenQ hing eine ganze Region am Tropf. Da war dann alles auf den Füßen. Die Feuerwehr, die Müllabfuhr. So eine Werksschließung trifft auch den Bäcker und den Metzger, weil seine Kunden weniger Geld haben werden. Bei Bosch-Siemens in Spandau war das anders. Das Werk liegt in einem abgelegenen Industriegebiet. Es gab überhaupt kein Umfeld, das sich hätte solidarisieren können. Deshalb fand ich es perspektivisch gut, dass es von Anfang an eine Selbstermächtigung der Belegschaft gab.

Was heißt das?

Die Leute haben am Anfang geglaubt: Wir haben keine Chance. Dann haben sie sich auf die Betriebsversammlungen Know-how eingeladen. Unternehmensberater zum Beispiel. Aber auch Menschen, die erzählt haben, wie es ist, mit Hartz IV zu leben. Für viele der BSHler waren Hartz-IV-Empfänger ja einfach nur Faule.

Und dann?

Dann wurde ihnen klar: Auf die Abfindung von 80.000 Euro zahle ich erst mal fast 50 Prozent Steuern. Und der Rest ist dann auch schnell verkonsumiert. Sie bekamen dann das starke Gefühl, es geht um ihre Existenz, es geht um ihr Überleben.

Es war klar: Sie müssen streiken.

Und das Werk besetzen. Das Unternehmen wollte die Produktionsmittel noch schnell aus dem Werk schaffen - das hat die Belegschaft blockiert. Sie organisierte dann einen Marsch der Solidarität, der auch zum BenQ-Werk nach Kamp-Lintfort führte. Ich verstehe gar nicht, warum es bei Nokia nicht genauso gelaufen ist. Warum lassen die sich das gefallen? Warum ist da das Werk nicht besetzt? Warum stehen die Produktionsmittel nicht still? Wo doch das Unternehmen ganz klar gesagt hat: Wir machen den Laden dicht und ziehen nach Rumänien weiter.

Was glauben Sie?

Vielleicht Ohnmacht. Vielleicht einfach auch Unwissenheit. Neulich habe ich nochmal einen BSH-Kollegen getroffen. Der sagte: Wir hätten die Logik der Unternehmer durchschauen müssen. Bei uns gabs ganz klar eine Überproduktion. Schon Jahre vorher hätten wir wissen können, dass es irgendwann einem Werk an den Kragen geht.

Belegschaften müssten ein Schattenmanagement aufbauen, damit sie nicht in eine Situation kommen, wo sie von der Werksschließung überrascht werden?

Ja. Sie müssen die Interessenlage des Konzerns lesen können.

Aber wäre das nicht die Rolle der Gewerkschaften?

Eigentlich schon. Aber bei BSH war es so, dass ein Teil der Funktionäre der IG Metall die Solidarität abgesägt hat.

Wieso abgesägt?

Sie haben die Streiks abgesagt, weil bei der Betriebsversammlung - formal ganz richtig - das Quorum erreicht wurde.

Formal heißt: Über 25 Prozent haben das Verhandlungsergebnis angenommen.

Aber eben fast 70 Prozent nicht. Die hätten weitergestreikt. Mit der klaren Kampflinie: Alle Arbeitsplätze erhalten!

Am Schluss Ihres Dokumentarfilms ist die Belegschaft tief zerstritten. Die einen werfen den anderen Verrat vor. Und weg ist die Solidarität.

Ja, diese Spaltung hätte vermieden werden können. Auch die Belegschaft war politisch unerfahren. Wenn diese eine Kampflinie ausgegeben und sich nicht auf ein paar Funktionäre verlassen hätte, die das Ergebnis nachts im Hotel aushandeln, dann hätte die Gewerkschaft erst gar nicht den Kompromiss suchen können. Die Gewerkschaften sind in Betrieben doch mittlerweile Komanager.

Was meinen Sie damit?

Gewerkschaften sind nur noch eine Parodie der Arbeiterbewegung. Und mit Komanager meine ich zugespitzt: Wir, die Gewerkschaft, verzichten auf 20 Prozent Lohn, geben noch zwei Stunden Arbeitszeit drauf - und dann können wir euren Anspruch auf mehr Rendite von zwei oder drei Prozent mehr erfüllen. Wenn die sich auf das Spiel der Unternehmen einlassen, die nur ihre Rendite erhöhen wollen, ist das perspektivlos.

Und die Streiks sind nur noch das übrig gebliebene Ritual?

Das ist oft nur noch Sozialromantik. In den 90er-Jahren hat die Firma EKO Stahl aus Eisenhüttenstadt mal Autobahnen besetzt. Die haben also nicht nur die roten Fahnen der IG Metall in die Höhe gehoben. Sondern signalisiert: Wir machen die Autobahnen dicht, wir sind gefährlich!

Und heute?

Da sieht man in der "Tagesschau" derzeit die Arbeitnehmer mit ihren Ver.di-Mützen und Plakaten, auf denen sinngemäß steht: So nicht! Die Bosse stecken sich immer mehr rein! Und der Gewerkschaftsführer sagt dann: Bei dem Angebot der Arbeitgeber ist das Ende der Dreistigkeit erreicht. Und dann?

Und dann?

Tatsächlich wird nicht darum gekämpft. Da müsste man auch mal härtere Manschetten anziehen. In Berlin hat sich Ver.di gerade kritisch dazu geäußert, dass neben ihren BVG-Mitarbeitern auch noch die Lokführer streiken wollen. Also Busse sowie U-Bahnen und noch die S-Bahnen ausfallen könnten. Ist das echter Kampf? Vor was haben die Angst? Ich wurde auch von Gewerkschaftern kritisiert, dass ich in meinem Film keinen ruhmreichen, emanzipatorischen Kampf gezeigt habe. Das sagt doch alles.

Sie plädieren für eine Radikalisierung?

Ich glaube, das wollen die Gewerkschaften gar nicht.

Wieso nicht?

Weil echte Auseinandersetzung auch für die Gewerkschaften nicht mehr steuerbar wäre. Die haben Angst davor, wenn die Belegschaften Erfahrungen machen in der direkten politischen Auseinandersetzung. Wenn die Arbeiter feststellen, dass sie auch selbst ein Plakat malen können. Das macht die Menschen selbstständiger, aber auch nicht mehr so steuerbar.

Die Gewerkschaften wollen gar keine mündigen Belegschaften? Sie übertreiben, oder?

Die Gewerkschaften sind in der Defensive - auch wenn gerade massenhaft gestreikt wird. Diese Streiks sind aber keine Kämpfe um echte Zugewinne, sondern Verteidigungskämpfe. Und es entstand in den letzten Jahrzehnten eine Verflechtung in den Unternehmen zwischen Gewerkschaft und Management. Zum Beispiel in den Aufsichtsräten. Das ist auch eine ästhetische Frage.

Inwiefern ästhetisch?

So ein höherer Gewerkschaftsfunktionär sieht heute doch zumindest wie ein mittelständischer Unternehmer aus. Die meinen wohl, sie könnten sich so auf Augenhöhe begegnen. Aber der Unternehmer hat noch nie einen Blaumann angezogen. Und welche Augenhöhe soll das überhaupt sein? Um in Konflikten auf Augenhöhe verhandeln zu können, bräuchte es gleiche Macht. Aber nicht die gleiche Kleidung oder die gleichen Nachtclubs.

INTERVIEW: THILO KNOTT

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